×
Selbstdarstellung und Gesellschaftsbild im Werk des brasilianischen Dramatikers Jorge Andrade (1922-1984)
von Gerd HilgerBis heute gilt Jorge Andrades literarische Geschichtsanalyse als einzigartig im modernen brasilianischen Theater. Seine zehn bedeutendsten Stücke hat er in dem Hauptwerk Marta, a árvore e o relógio zu einem dramatischen Zyklus verdichtet. Das vier Jahrhunderte umfassende historische Panorama reicht von der Ausbeutung der Gold- und Diamantenminen über den Niedergang der „Kaffeebarone“ bis zur Epoche des schnellen industriellen Wachstums in der Metropole São Paulo. Im Blickfeld stehen dabei Momente des sozialen und wirtschaftlichen Umbruchs und die Auswirkungen auf den Lebensrhythmus der Menschen.
Andrade selbst ist Spross einer Grossgrundbesitzerfamilie, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 1929 den Verlust ihrer Güter hinnehmen musste. Sein Interesse gilt daher nicht nur der Aufdeckung und Anklage sozialer Missstände in der brasilianischen Gesellschaft, sondern auch der intensiven Aufarbeitung autobiographischer Erfahrungen und Verletzungen.
Zentrales Motiv seiner literarischen Arbeit ist die Suche nach Wahrheit im doppelten Sinn: Er sucht Antworten auf ungeklärte Fragen seines künstlerischen Werdegangs und erforscht zugleich die historische Wahrheit Brasiliens in Form einer Aufarbeitung wechselnder gesellschaftlicher Machtstrukturen.
Vor dem Hintergrund des zeitgenössischen brasilianischen Theaters soll die These nachgewiesen werden, dass Jorge Andrades künstlerische Motivation wesentlich auf die Überwindung seiner biographisch begründeten psychosozialen Konflikte und Widersprüche zurückgeht.