Transzendenzverlust und Melancholie
Depression und Sucht im Schatten der Aufklärung
von Eberhard Th. HaasDie wissenschaftlichen Revolutionen, verbunden mit den Namen Kopernikus und Darwin, enthalten eine metaphysische Sprengkraft, die immer nachhaltiger in die privateste Sphäre eingedrungen ist. Die Rede vom »Tod Gottes« ist keineswegs nur eine akademische Frage. Die Emanzipation aus religiöser Bevormundung wird heute zunehmend infrage gestellt, denn mit ihr ging ein kollektive und individuelle Gewalterfahrungen transformierender Behälter verloren. Der Prozess der Säkularisierung enthält eine Dialektik, deren Schattenseite zunehmend gespürt und als Psychopathologie erlitten wird. Dieser Transzendenzverlust steht in Verbindung mit Depressionen und Süchten. Früher war Wissen um Lebenstatsachen in der Sprache der Religion aufbewahrt; heute begreift man, dass deren Gehalt – wir zehren immer noch davon – nicht schadlos suspendiert werden darf. Man hat begonnen, dieses Wissen in eine nichtreligiöse Sprache zu übersetzen. Dieser Aufgabe widmet sich auch dieses Buch, eingebunden in eine kohärente Kulturtheorie und mithilfe der Sprache der Psychoanalyse, die dafür die reichhaltigste Semantik besitzt.