Störung durch Glücksspielen von Ursula Gisela Buchner | Entwicklung und Bewertung von Unterstützungsmöglichkeiten für Angehörige | ISBN 9783863093914

Störung durch Glücksspielen

Entwicklung und Bewertung von Unterstützungsmöglichkeiten für Angehörige

von Ursula Gisela Buchner
Buchcover Störung durch Glücksspielen | Ursula Gisela Buchner | EAN 9783863093914 | ISBN 3-86309-391-7 | ISBN 978-3-86309-391-4

Störung durch Glücksspielen

Entwicklung und Bewertung von Unterstützungsmöglichkeiten für Angehörige

von Ursula Gisela Buchner
Hintergrund
In Deutschland ist das Angebot an Glücksspielen in den vergangenen zehn Jahren aufgrund der Änderung zahlreicher Rahmenbedingungen massiv gestiegen. Parallel dazu hat auch die Anzahl Hilfesuchender in Suchtberatungsstellen und stationären Einrichtungen stark zugenommen. Das Krankheitsbild Störung durch Glücksspielen (Disordered Gambling; DG) ist somit verstärkt in den Fokus von Forschung und Praxis gelangt.
Für mitbetroffene Angehörige gibt es nach wie vor nur wenige Unterstützungsmöglichkeiten und keine evaluierten Angebote. Dies trifft nicht nur auf den deutschsprachigen Raum zu, auch international besteht diese Lücke. Dabei ist es essentiell, auch dieser Gruppe adäquate Unterstützung anzubieten, denn die Betroffenen befinden sich häufig in hoch belastenden Lebensumständen. Das Ziel der hier vorliegenden Arbeit besteht darin, Unterstützungsmöglichkeiten für Angehörige von problematischen und pathologischen Glücksspielerinnen und Glücksspielern (PSG) zu entwickeln und zu bewerten.
Methode
Als Grundlage der Arbeit wurden Strukturmerkmale des Versorgungs-systems für PSG analysiert, da die Versorgung der Angehörigen grundsätzlich im gleichen System stattfindet. Ausgehend von aktuellen Erkenntnissen zur Angehörigenarbeit bei psychischen Erkrankungen im Allgemeinen und bei Suchterkrankungen im Speziellen wurden zwei Programme entwickelt, die jeweils auf einem psychoedukativen Konzept beruhen und explizit den Bedarf der Angehörigen fokussieren. Das Entlastungstraining für Angehörige von problematischen und pathologischen Glücksspielern – psychoedukativ“ (ETAPPE) wurde als Gruppenangebot in insgesamt sechs Standorten bayernweit getestet. Um vorhandene Zugangsbarrieren zum Hilfesystem abzubauen und möglichst vielen betroffenen Angehörigen eine Unterstützung anbieten zu können, wurde in der Folge das E-Mental-Health-Programm „Verspiel nicht mein Leben“ – Entlastung für Angehörige (EfA) entwickelt und die Erreichbarkeit der Zielgruppe in einer Machbarkeitsstudie untersucht.
Ergebnisse Studie 1: Analyse des stationären Versorgungssystems
In Deutschland findet die stationäre Rehabilitation von PSG je nach angenommener Ätiologie (Sucht versus Impulskontrollstörung) in einer Einrichtung mit einer Sucht- oder einer psychosomatischen Abteilung statt. Das Versorgungssystem ist strukturell ausdifferenziert und in das bestehende Hilfesystem eingebettet. Im Jahr 2011 wurden insgesamt 2.229 PSG stationär behandelt. Ein Großteil davon (90 %) war männlich, die meisten behandelten PSG (93 %) hatten mindestens eine komorbide Erkrankung. Der Zugang zur stationären Rehabilitation wurde zumeist über eine Beratungsstelle initiiert. Die Analyse zeigt, dass auf Sucht spezialisierte Einrichtungen weniger PSG pro Jahr behandeln als Ein-richtungen mit einer psychosomatischen Abteilung oder beiden Abtei-lungen (29,3 PSG versus 53,3 PSG versus 76,4 PSG). Einige Einrichtungen sind auf DG spezialisiert und behandeln dementsprechend mehr PSG, haben einen höheren Anteil an PSG an allen Patientinnen und Patienten und bieten spezialisierte Behandlungsprogramme an. Der Einfluss dieser Spezialisierung auf das Behandlungsergebnis ist derzeit allerdings unklar. Die Versorgung von Angehörigen findet bislang, wenn überhaupt, als ergänzendes Angebot im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen für PSG statt.
Ergebnisse Studie 2: Entwicklung und Bewertung von ETAPPE
ETAPPE ist ein psychoedukatives Entlastungstraining, das als manualisiertes Gruppenangebot entwickelt und in einer Pilotstudie bayernweit getestet wurde. Das Angebot wird von den beteiligten Beraterinnen und Beratern als gut in bestehende Strukturen integrierbar eingeschätzt, die verwendeten Methoden wurden sehr gut bezüglich ihrer Handhabbarkeit sowie der Verständlichkeit, Inhalte, Umsetzbarkeit, Zielorientierung, Abwechslung/Vielfalt, Praxisrelevanz und Layout/Gestaltung eingestuft.
Unter Berücksichtigung der Einschlusskriterien konnten bei einer Ausschöpfungsquote von 89,7 % insgesamt 26 Teilnehmende, in erster Linie Frauen (92,3 %), in die an vier Standorten durchgeführte Pilotstudie aufgenommen werden. Die in ETAPPE aufgegriffenen Themen entsprechen den Bedürfnissen der Teilnehmenden. Durch das Angebot lässt sich die Belastung signifikant reduzieren. In der Katamneseerhebung, die Ergebnisse von 37 Teilnehmenden aus insgesamt sechs Standorten bayernweit umfasst, zeigt sich, dass die durch ETAPPE erreichte Reduktion der Belastung über drei Monate stabil bleibt und zusätzlich der chronische Stress abnimmt. Zudem geben die Teilnehmenden eine hohe Zufriedenheit mit den einzelnen Bausteinen sowie mit dem Angebot insgesamt an.
Zusammenfassend zeigen die Resultate der Prozess- und Ergebnis-evaluation, dass ETAPPE eine gute Möglichkeit bietet, Angehörige von PSG zu erreichen und sie in ihren Bedürfnissen adäquat zu unterstützen.
Ergebnisse Studie 3: Machbarkeitsstudie zur Adaption als E-Mental-Health-Programm EfA
Bei der Adaption des Angebots als E-Mental-Health-Programm EfA stellen sich zunächst folgende Fragen: (1) Wie kann die Zielgruppe auf das neu entwickelte Angebot aufmerksam gemacht werden? (2) Wie lange blieben Webseiten-Besucherinnen und -Besucher auf der Home-page und wie viele von ihnen meldeten sich für eine Programmteilnahme an? (3) Welche Charakteristika hatten die Teilnehmenden und in welcher Art und Weise nutzten sie das Programm?
Insgesamt wurden in neun Monaten 11.552 Seitenabrufe verzeichnet, wobei ein Großteil (82,5 %) die Seite über einen Direktaufruf erreichte. Als Suchtermini bei Internetsuchmaschinen dienten in erster Linie Begriffe aus Slogan und Motto des Programms. Bei einer durchschnittlichen Konversionsrate von 3,5 % registrierten sich monatlich im Mittel 16,1 neue Teilnehmende. Die finale Stichprobe bestand aus 126 Teil-nehmenden (88,9 % Frauen; 73,0 % Partnerinnen bzw. Partner). Zwei Drittel (67,5 %) aller Teilnehmenden hatten zuvor noch keine professionellen Hilfen oder Selbsthilfeangebote in Anspruch genommen.
Das gesamte Angebot wurde von mehr als einem Drittel (37,3 %) genutzt. Weitere 31,0 % beteiligten sich an mehreren Modulen, die übrigen 31,7 % beendeten ihre Teilnahme im ersten Modul. Zwischen diesen drei Gruppen fanden sich keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Beziehung zum bzw. zur PSG, einem gemeinsamen Haushalt oder vorheriger Unterstützung, aber bezüglich des Zeitraums, der zwischen der Nutzung des ersten und zweiten Moduls lag.
Die Ergebnisse zeigen, dass grundsätzlich Angehörige mit einem E-Mental-Health-Angebot erreicht werden können. Insbesondere werden davon auch Personen angesprochen, die keine vorherigen Hilfen oder Selbsthilfeangebote in Anspruch genommen hatten. Dies unterstreicht die Bedeutung des webbasierten Ansatzes. Somit kann auf diesem Weg ein weiterer Beitrag zu einer adäquaten Versorgung dieser Klientel geleistet werden.
Schlussfolgerung
Die vorliegende Arbeit beleuchtet erstmalig das Versorgungssystem für PSG und ihre Angehörigen in Deutschland und identifiziert vorhandene Lücken in der Versorgung. Als wesentlicher Bestandteil werden innovative zielgruppenspezifische Angebote für Angehörige von PSG entwickelt und bewertet. Die erhobenen Daten zeigen, dass es sich bei hilfe-suchenden Angehörigen tatsächlich um eine hoch belastete, zum Teil im klinisch relevanten Bereich belastete, Klientel handelt. Dies spricht für einen hohen Hilfebedarf und die Notwendigkeit adäquater Angebote. Das Entlastungstraining ETAPPE kann gut in das vorhandene Hilfesystem integriert werden, lässt sich von Beraterinnen und Beratern effizient anbieten und zeigt signifikante, zum Zeitpunkt der Katamnese anhaltende, positive Ergebnisse. Das E-Mental-Health-Programm EfA bietet unter Nutzung neuer Medien einen niedrigschwelligen Zugang zum Hilfesystem und stellt als mögliche Ergänzung traditioneller Angebote eine gute Erweiterung des Portfolios zur Unterstützung dieser Klientel dar. Mit diesen Studien ist eine Basis für die Arbeit mit Angehörigen von PSG geschaffen. Perspektivisch gilt es, die Angebote auszubauen und weitere Lücken in der Versorgung dieser Klientel zu schließen.