Das ist kein Buch oder eine Reise ins Unterbewusstsein mit Katerina Belkina
von Aleksej Tikhonov
Das vorliegende Objekt misst genau 33 x 23,5 x 2,5 cm, die liebevoll in Papier umwickelt sind. Das Gehirn und die Augen erlauben es den Händen nicht, das Buch aus der Verpackung zu befreien. Allein schon die sorgfältig durchdachte und umgesetzte Einkleidung des Werkes in einen Mantel aus nebeligem Papier lässt darin etwas mental Großes vermuten. Das Buch ist nun nackt und liegt auf der Tischplatte. Die kontrastreiche Gestaltung des Covers zieht sofort die volle Aufmerksamkeit auf sich, sodass erst beim zweiten Hinsehen klar wird, dass das fotografische Abbild von Katerina Belkina nicht monochrom, sondern farbig ist. Die Tonwerte auf dem Cover wurden zu einem bewundernswerten Einklang gestimmt, bei dem das Bewusstsein nach mehr verlangt – „Gib mir mehr davon!“. Auf den Buchrücken gestellt, flattern die Seiten einem Daumenkino gleich von rechts nach links, doch es entsteht dabei kein Trickfilm, sondern ein Duft. Die Nase erfasst den Duft von hochwertigem Papier sowie veganen Farben. Bereits die Duftprobe zeigt freilich, dass es sich bei dem Buch höchstwahrscheinlich um ein Meisterstück der Druckkunst handelt und dessen Name ist:
„My Work Is My Personal Theatre“
Auf rund 250 Seiten werden zahlreiche Kunstwerke von Texten auf Deutsch, Englisch und Russisch begleitet. Die Exponate können lediglich nicht eindeutig zur Fotografie, Bildhauerei, Grafik Design oder Kollagen zugeordnet werden. Jedes einzelne Stück dieser Ausstellung im Druckformat entzieht den technischen sowie konformistischen Grenzen der darstellenden Künste ihre Gültigkeit. Fast jede Seite verlangt die volle Aufmerksamkeit. Ist es wirklich ein Zug? Und die Fabriken am Horizont – sind die echt? Sind es überhaupt menschliche Wesen auf den Bildern oder Androide, die sich der menschlichen Gestalt bedienen? Anfangs erscheinen von allein viele Fragen. Die textuellen Bausteine geben dazu keine Antworten, aber weisen auf etwas anderes hin – Ce n’est pas une pipe oder im Falle von Belkina Ce n’est pas un livre. Auf seinem Gemälde ‚La trahison des images‘ (de.: Der Verrat der Bilder) zeigte René Magritte eine Rauchpfeife und wies mit dem Satz „Das ist keine Pfeife“ auf die Automatisierung der menschlichen Wahrnehmung hin. Denn tatsächlich war das keine Pfeife. Es war eine Leinwand mit Farbe drauf. Während sich aber einer der wohl wichtigsten Surrealist*innen des 20. Jahrhunderts der doch noch recht traditionellen Form und Technik bediente, ging die kroatisch-französische Fotografin, Bildhauerin und Model von Pablo Picasso Dora Maar einen Schritt weiter und ließ die Kunstarten miteinander verschmelzen. Besonders ‚Untitled (hand and mirror)‘, ‚Sans Titre (Main-coquillage)‘ oder ‚The Years Lie in Wait for You‘ sind Erzeugnisse einer schöpferischen Quelle gewesen, die zumindest heute ihre männlichen Zeitgenossen, Kollegen und Verehrer, wie Magritte und Picasso, etwas alt oder vielleicht sogar „populistisch“ aussehen lassen. Darüber lässt es sich aber natürlich streiten.
Beim Betrachten der Bilder von Katerina Belkina, ist nicht ganz klar, welches Medium man gerade vor sich hat – eine Fotografie oder ein Gemälde? In ihren Werken vereint die russische Künstlerin auf einzigartige Art und Weise Techniken der Fotografie mit Darstellungsformen der bildenden Kunst. Mit einem digitalen Pinsel verleiht sie ihren fotografischen Arbeiten eine schwerelose, traumhafte Atmosphäre und erhebt die Wirklichkeit der Momentaufnahme zu einer erweiterten und verbesserten Realität. Damit kreiert sie ihr ganz eigenes Genre. Der dreisprachig angelegte Bildband „Katerina Belkina. My Work Is My Personal Theatre“ (Deutsch, Englisch, Russisch) präsentiert nun erstmals das Werk der Künstlerin im kunsthistorischen Diskurs.