Casanovas Metamorphosen von Attila F. Balázs | Mit vierzehn Zeichnungen von Tünde Darvay | ISBN 9783863563929

Casanovas Metamorphosen

Mit vierzehn Zeichnungen von Tünde Darvay

von Attila F. Balázs, illustriert von Tünde Darvay, herausgegeben von Traian Pop, aus dem Ungarischen übersetzt von Ana Ördög
Mitwirkende
Autor / AutorinAttila F. Balázs
Übersetzt vonAna Ördög
Illustriert vonTünde Darvay
Nachwort vonZita Murányi
Herausgegeben vonTraian Pop
Buchcover Casanovas Metamorphosen | Attila F. Balázs | EAN 9783863563929 | ISBN 3-86356-392-1 | ISBN 978-3-86356-392-9
Inhaltsverzeichnis 1

Casanovas Metamorphosen

Mit vierzehn Zeichnungen von Tünde Darvay

von Attila F. Balázs, illustriert von Tünde Darvay, herausgegeben von Traian Pop, aus dem Ungarischen übersetzt von Ana Ördög
Mitwirkende
Autor / AutorinAttila F. Balázs
Übersetzt vonAna Ördög
Illustriert vonTünde Darvay
Nachwort vonZita Murányi
Herausgegeben vonTraian Pop
asanovas Metamorphosen ist das von vielen Lesern geschätzte Werk eines hochproduktiven und vielseitigen zeitgenössischen ungarischen Autors. Als Schriftsteller, Übersetzer, Herausgeber, Bibliothekar und Redaktions- bzw. Verlagsleiter hat er im Laufe der Jahre zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Madách-Niveau-Preis, den Lucian-Blaga-Preis, den Preis Tudor-Arghezi Opera omnia oder den italienischen Camaiore-Preis. Attila F. Balazs ist Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften, Künste und Literatur sowie des Ungarischen PEN-Clubes. Casanovas Metamorphosen erschien 1992 in der Microgramma Ausgabe in Pressburg (Bratislava), die erste Übersetzung (in slowakischer Sprache) 2006 beim Plectrum Verlag. Das Buch ist seitdem in zahlreiche Sprachen übertragen worden und erschien 2011 auf Rumänisch beim Klausenburger Grinta Verlag, 2013 auf Englisch in Vancouver/Kanada, 2014/2020 auf Spanisch, 2014 beim ARC Verlag in Kischinau, 2015 auf Serbisch in Sremska Mitrovica, 2021 in Hanoi/Vietnam oder 2022 auf Italienisch beim Verlag Quaderni del Bardo. Usbekische und französische Fassungen sind in Vorbereitung. Dass Casanovas Metamorphosen in so vielen Ländern der Welt gelesen, verstanden und geliebt wird, liegt offenkundig an der universellen Sichtweise des Daseins, die dem Buch eigen ist und die aus den persönlichen Erfahrungen des Autors zu einer universell menschlichen Sichtweise heranwächst, die sich oft Themen nähert, die uns alle betreffen, wie etwa die Liebe, die die Welt zusammenhält, aus der Perspektive des Vergehens und des Verlustes, aber auch die Schönheit des Lebens selbst im Schatten und angesichts des Todes preist. Der Leser gerät unmittelbar in den Sog dieser Prosa, die ihn auf eine hochemotionale Reise durch Themen wie Liebe, Schmerz oder Verlust mitnimmt. Wie Ion Deanconescu im Klappentext der zweiten Auflage schreibt, ist eine der Säulen von Casanovas Metamorphosen die unaufdringliche Herangehensweise, die es Balázs ermöglicht, stets unaufgeregt zu erzählen und eher durch Verschweigen als durch Offenheit auf den Leser einzuwirken. Gern stimmt man Deanconescu zu, wenn er betont, dass die Texte von Casanovas Metamorphosen wahrhaftige literarische Juwelen sind. Sie lassen uns denken, dass die Liebe stärkste Motivation, Kern des Lebens, Lächeln der Zeit ist. Grenzenlos und ohne nachzudenken bietet sie dem Menschen das, wonach er sich immer schon gesehnt hat: ein winziges Stück Unsterblichkeit und Wohlstand. Ebenfalls das Feuer des Herzens, das immer wieder aufflammt, Seite an Seite mit jeder geteilten Emotion. Die Stärke F. Balázs’ liegt darin, dass er den Casanova-Mythos sowohl neu erschafft als auch transzendiert und statt wortgewaltiger erotischer Szenen seine Bedeutungen in einer zurückhaltenden, poetisch gesättigten Sprache skizziert und so eine subtile Textwelt schafft, in der die knappen Erzählungen gerade durch das Weglassen und das Verchweigen ihre nachhaltige Wirkung entfalten. Attila F. Balázs deutet bereits mit dem Titel an, dass es um mehr geht als die offene Darstellung der körperlichen Liebe, die der Leser unmittelbar mit dem Namen Casanova assoziiert. Das Ganze ist eine dichte, poetische Erzählung, die um die Dichotomie von Geburt und Tod der jeweiligen Hauptpersonen kreist und die Liebe als ursprüngliches Rätsel darstellt, das darauf wartet, gelöst zu werden. In F. Balázs’ Universum können auch alltägliche Dinge wie die gepflückte Mohnblume, deren Blütenblätter abgefallen sind, bevor sie überreicht wird, oder ein leeres Glas (wir schenken einander keine leeren Gläser und leeren Worte) zu Metaphern der Liebe werden. Poetisch verdichtete und gesättigte Zeile sind ein hervorragendes Mittel, um Spannung zu erzeugen. Ebenso Gedanken, die mit Licht und Schatten und weiteren Gegensätzen spielen – wobei die Vernichtung mit dem Licht zusammenhängt, wie der Titel der abschließenden Erzählung nahelegt, die Casanovas Tod als Begegnung mit der Dunkelheit schildert. Die Sammlung dieser Geschichten wird naturgemäß von der Figur Casanovas zusammengehalten, dessen Tod ihn, indem er ins ewige Licht eingeht, von allen Vergehen und Übertretungen freispricht, und für den die Befreiung vom Körper eine größere Freude ist als die immerwährende Unterwerfung der Freuden des Körpers. Die fleischliche Liebe kann einen nur für den Moment von der Angst vor der Vergänglichkeit befreien, aber das ‚Hinübergehen‘ selbst ist endlos. Hinter Casanovas Kampf, der auch der unsere ist – das Streben nach beständigem Glück – steht der Wunsch, die Angst vor dem Tod zu überwinden und einen dauerhaften Zustand der Glückseligkeit zu erreichen. Und wann können wir glücklicher sein als dann, wenn wir nicht mehr sind. Das Shakespearesche, Othellosche Dilemma für Casanova wird also durch Nicht-Sein gewonnen. Aber – es gibt keinen übertriebenen Pessimismus. Das Wasser als lebenspendendes Urelement ist ein wichtiges Bindeglied in dieser Kurzprosa: Es fließt, es treibt, es driftet, es strömt, genau wie die Sprache des Schreibens, die Quelle von allem, vibrierend in unwirklichen Farben, das meist einladende Medium der Emotionen und es trägt – wenn wir die griechische Mythologie, die auch durch den Titel angedeutet wird, in den Interpretationsbereich einbeziehen – auch die Fähigkeit in sich, auf molekularer Ebene zu vergessen, man denke nur an Lethe. Wenn die Verwandlung Ovids unumgänglich ist, ist es nicht verwunderlich, dass die sich Bäume entlang des Ufers mit narzistischer Bewunderung im reinen Wasserspiegel anschauen. Übrigens erinnert F. Balázs Prosa durchaus an Franz Kafka oder Virginia Woolf, ersterer durch die Benennung der Helden mit Buchstaben (man denke an Josef K.), was wohl auch ein Mittel des Verschweigens ist, letztere durch eine Szene in der Kurzgeschichte An der Grenze des Traums, die an Orlando erinnert. Da finden sich Verwandlungen, in deren Tiefen die Fremdheit und Unkenntlichkeit des Anderen am Werk ist und der Zwang, dass eine Linie nur durch zwei Punkte definiert ist. Das heißt, das Individuum, das Selbst, kann sich nur im Beziehungssystem der anderen messen, oder, um es mit Attila József zu sagen: Du kannst dein Gesicht nur in etwas anderem waschen. Wer verliebt ist, wird instinktiv zum Casanova, und das Streben nach Vergnügen kann manchmal moralische Normen legal untergraben. Denn wer verliebt ist, reist nicht nur in den Himmel, sondern besorgt sich zugleich eine Fahrkarte zur Hölle … Auch der Humor und Zynismus von F. Balázs tragen zur Vielfalt und Sympathie der Kurzgeschichten bei.
„Wann geht die nächste Fahrt in den Himmel?“ Danach habe ich schnell den Hörer vom Ohr weg gehalten. Ich habe bereits auf den Knall gewartet und sogar meinen Atem unterdrückt. „Es tut mir leid, Sie sind zu spät, kam die ruhige Antwort, aber wenn Sie es sehr eilig haben, geht in zehn Minuten die Fahrt in die Hölle, diese erreichen Sie noch.“
In dieser Übergangsexistenz ist auch das Glück relativ, es geschieht immer etwas, das es zerstört oder verfälscht. Jeder will etwas anderes, die Frau will den Mann, der Mann will die Frau, und F. Balázs macht sich auf, dieses Andere systematisch zu erkunden. Das Buch zeichnet einen bemerkenswerten Weg zwischen Leben und Tod nach; es ist durchsetzt mit einigen ganz besonderen und wirklich herausragenden Stücken, von denen die biografisch inspirierte Rebellion den Verlust eines Vaters behandelt und die ambivalenten Gefühle des Erzählers wunderbar einfängt. Die Tragödie erreicht ödipale Ausmaße. In diesem Buch zeigt sich F. Balázs auch von der experimentierfreudigen Seite, indem es mit neuen Formen arbeitet, wie zum Beispiel die Frische der E-Mail-Kurzgeschichte mit dem Briefwechsel, der manchmal die Form der Prosa verlässt und wie das Wasser ihre Grenzen sprengt und sich in Poesie auflöst, obwohl sie immer noch ein Brief ist. Casanova wird geboren, und am Ende entscheidet er sich für das Sterben: Resignierend findet er sich damit ab, dass er im Verborgenen nur von ihm besiegt wird, um die Freude zu erleben, die er in einer Reihe von Liebschaften vergeblich suchte. Die Befreiung von den Zwängen des Lebens und des Körpers, die Selbstaufgabe, nach der wir uns alle sehnen, die die Liebe für einen Augenblick bietet, die aber das Vergehen ewig macht. Es ist wesentlich, festzustellen, dass Casanova im Akt der Lust stirbt, so dass der Ritter der Liebe in seinem letzten Akt die Existenzberechtigung der Liebe rechtfertigt: Es lohnt sich, zusammen zu sein, und sei es nur, um zu wissen … wie das feine Aroma des Kaffees mundet, das seidig schmeckende Eis, das auf dem Lavastein gebratene zarte Lammfleisch, das herbe Aroma des auf dem Spieß gebratenen Hammelfleischs, das besondere Bild – einem Kaleidoskop ähnlich – und die Geschmackskavalkade der Meeresfrüchte, der einheimische herbe Rotwein, das drittklassige Fassbier, die nach Sonne schmeckenden Tomaten und der Saft aus frisch gepflücktem Obst, das natürlich und nicht künstlich heranreifte. An anderer Stelle lassen uns ein paar Streichhölzer ahnen, dass wir leben. Die Reflexionen in Casanovas Metamorphosen helfen dabei, bestehende Beziehungssysteme zu überprüfen, verschaffen dem Leser kathartische Erfahrung: die Einsicht, die einer Auflösung würdig ist, wie sie Casanova selbst erfahren hat, in der das Leben, die Liebe und der Tod nicht als einander ausschließende Gegensätze dargestellt werden, sondern zu einander bedingenden Gestalten der menschlichen Existenz und, was noch mehr ist, vielleicht der Ewigkeit selbst.
Zita Murányi