So haben sie es berichtet von Juliane Lepsius | Gert Löllbach, Charlotte, Johanna, Ruth Herz, Richard (Rix) Löwenthal, Eva und Ruth Brössler, Gerhart Scheunert, Wilhelm Magnus und Hans Jonas Jüdische und nichtjüdische Schicksale in der NS-Zeit und danach | ISBN 9783866284890

So haben sie es berichtet

Gert Löllbach, Charlotte, Johanna, Ruth Herz, Richard (Rix) Löwenthal, Eva und Ruth Brössler, Gerhart Scheunert, Wilhelm Magnus und Hans Jonas Jüdische und nichtjüdische Schicksale in der NS-Zeit und danach

von Juliane Lepsius, herausgegeben von Erhard Roy Wiehn
Buchcover So haben sie es berichtet | Juliane Lepsius | EAN 9783866284890 | ISBN 3-86628-489-6 | ISBN 978-3-86628-489-0

So haben sie es berichtet

Gert Löllbach, Charlotte, Johanna, Ruth Herz, Richard (Rix) Löwenthal, Eva und Ruth Brössler, Gerhart Scheunert, Wilhelm Magnus und Hans Jonas Jüdische und nichtjüdische Schicksale in der NS-Zeit und danach

von Juliane Lepsius, herausgegeben von Erhard Roy Wiehn
Während meiner Dienstjahre an der Deutschen Botschaft in Stockholm erhielt ich die schwerste Aufgabe meines Berufslebens. Auch als Nicht-Juristin war ich durch die Ausbildung für den Höheren Auswärtigen Dienst befähigt und befugt, konsularische Aufgaben wahrzunehmen und Zeugenvernehmungen durchzuführen. 1963 hatte in Frankfurt der erste Auschwitz-Prozess begonnen, in dem erstmals vor einem deutschen Gericht ehemalige KZ-Aufseher als Angeklagte erscheinen mussten. Im Frühjahr 1964 begannen die Befragungen von Zeugen, denen die deutschen Ermittlungsbehörden nicht zumuten konnten, in das Land ihrer ehemaligen Peiniger nach Frankfurt zu reisen und diesen wieder zu begegnen. Als Konsulin wurde ich ermächtigt und beauftragt, in Schweden lebende Zeugen des Holocaust dort „auf deutschem Boden“ – d. h. in der Deutschen Botschaft – zu ihren leidvollen Erfahrungen zu befragen und sie dazu zu bewegen, über ihre traumatischen Erlebnisse auszusagen.
Ich hatte mich schon länger mit Schicksalen aus der Zeit des Nationalsozialismus befasst. Oft hatte ich mit dem in Berlin aufgewachsenen und – nach den Novemberpogromen 1938 – nach Schweden geflohenen Gert Löllbach gesprochen. Nach meinem Ausscheiden aus dem Auswärtigen Dienst erzählte er mir eingehend von seinem Leben im jüdischen Widerstand in Deutschland und seinem Einsatz für die vor der Vernichtung geretteten jüdischen Flüchtlinge in seiner neuen Heimat Schweden, wo er in enger Zusammenarbeit mit der zionistischen Hechalúz-Fischerboote für die Flucht über den Öresund organisierte: Mut zum Widerstand, so das erste Kapitel dieser Aufzeichnungen.
Durch das nach Stockholm geflüchtete Psychoanalytiker-Ehepaar Lajos und Edith Székely lernte ich ihre in Berlin lebenden Freunde Richard und Charlotte Löwenthal kennen, mit denen sie Erinnerungen aus ihrer Heidelberger Studienzeit und der frühen Verfolgung in Deutschland teilten. Der Politologe Richard Löwenthal spricht in Berlin mit grosser Offenheit über sein gegenwärtiges und vergangenes politisches Leben. Sein Wunsch war es, dass auch der mutige Einsatz seiner Frau Charlotte im französischen Widerstand in Interviews festgehalten würde, an denen er weitgehend teilnahm. Darauf folgen Gespräche mit Charlottes Schwestern Hannah in Schweden und Ruth, die im französischen Exil überlebte: Auseinandersetzung mit Totalitarismus.
Bei den Vorarbeiten zu meinem 1991 erschienenen Buch Es taucht in Träumen wieder auf – Schicksale seit 1933 (Droste Verlag Düsseldorf) hatte ich durch Sonja Teller, die Auschwitz überlebte, und ihren Mann George die Londoner Kinderpsychoanalytikerin Hansi Kennedy kennengelernt. Sie bat mich, auch mit ihren ehemaligen Wiener Schulkameradinnen Eva und Ruth Brössler Kontakt aufzunehmen, die nach dem langen Fluchtweg über Holland und die Schweiz ein neues Leben in den USA aufbauten: Schicksal und Chance.
In meiner Arbeit an den Themen, die mich über Jahrzehnte bewegten, nahm ich nach vielen Jahren wieder Kontakt mit meinem ehemaligen Psychoanalytiker Gerhart Scheunert auf, der einer neuen Generation der Vergangenheitsforscher gegenüberstand, die ihm seinen frühen Beitritt zur NS-Partei vorhielten. Im hohen Alter durchdachte er noch einmal die entscheidenden Phasen seines Lebens und liess mich in vielen Gesprächen an seinen Erinnerungen teilhaben: Die Last des Irrtums.
Mein Vetter Wilhelm Magnus erklärte mir die Situation seiner und auch meiner mütterlichen Familie mit unseren in der Nazizeit gefährdenden Anteilen „jüdischen Blutes“. Diese hatten für meinen in Russland gefallenen Bruder Bernd-Gero die Beförderung zum Offizier ausgeschlossen. Wilhelm Magnus emigriert nach dem Krieg in die USA, wo er mit seinen jüdischen Mathematikerfreunden zusammenarbeitet. Dies führt ihn und seine Frau Trude auch zu einer engen Freundschaft mit dem Philosophen Hans Jonas, an dessen philosophischer Arbeit er intensiven Anteil nimmt. An dem freundschaftlichen Umgang durfte ich teilnehmen: Freunde in der Neuen Welt.
Die häufigen Gespräche mit diesen Zeugen ihrer Zeit, die ich in Deutschland, Frankreich, Holland, England, Schweden und den USA führen konnte, erstreckten sich über mehr als ein Jahrzehnt. Die Aufzeichnungen wurden noch von ihnen abgesegnet. Ihnen allen gilt mein bleibender Dank für ihr Vertrauen und die vielen Stunden tiefgehender Gespräche, die mein Leben bereichert haben.
Nümbrecht, im November 2013 Juliane Lepsius