Gegen Vergessen von Erhard Roy Wiehn | Vor- und Nachworte 2020/21 Ein Lesebuch der Edition Schoáh & Judaica | ISBN 9783866287297

Gegen Vergessen

Vor- und Nachworte 2020/21 Ein Lesebuch der Edition Schoáh & Judaica

von Erhard Roy Wiehn
Buchcover Gegen Vergessen | Erhard Roy Wiehn | EAN 9783866287297 | ISBN 3-86628-729-1 | ISBN 978-3-86628-729-7

Gegen Vergessen

Vor- und Nachworte 2020/21 Ein Lesebuch der Edition Schoáh & Judaica

von Erhard Roy Wiehn
Vorbemerkungen: Erinnere und vergiss nicht
Gegen Vergessen: Meine allererste Schoáh-Buchpublikation trägt den
Titel Kaddisch – Totengebet in Polen – Reisegespräche und Zeitzeugnisse
gegen Vergessen in Deutschland (Darmstadt 1984, ²1987). Gegen
Vergessen ist die gesamte Edition Schoáh & Judaica ausgerichtet,
die sich nach diesem ersten Band in 37/38 Jahren entwickelte.
Gegen Vergessen: Die Forderung „Sachór – Gedenke!“ wird in der
hebräischen Bibel rund 250 mal formuliert, nicht selten bezüglich dessen,
was dem jüdischen Volk an Unrecht und Verfolgung widerfuhr,
besonders markant in 5 Mose 25, 17-19: „Gedenke, was dir Amalek
angetan..., vergiss (es) nicht!“ Diese Verse werden am Schabbat vor
Purim gelesen, am 'Schabbát Sachór'. Gedenken und nicht zu vergessen
wird also geradezu dekretiert und bezieht sich nicht nur auf das
Volk Israel, sondern auch auf den jüdischen G'tt selbst. Das Gegenteil
von Gedenken ist Vergessen, die Aufforderung, nicht zu vergessen
kommt in der Bibel etwa 100 mal vor, und nicht selten wird das Gebot
des Gedenkens mit der Mahnung und Warnung verschärft, keinesfalls
zu vergessen (vgl. dazu hier S. 197 ff.).
Gegen Vergessen: Beide 'Mitzwot' d. h. Weisungen und Pflichten,
waren nun in der Tat für das jüdische Volk von ungeheurer Bedeutung,
und es lässt sich sehr wohl behaupten, dass man nicht zuletzt vor
allem durch diese Weisungen erst verstehen kann, wie ein Volk unter
den denkbar schlechtesten Bedingungen über Jahrhunderte nicht nur
überleben, sondern dabei sogar seine Identität bewahren konnte. Dies
war freilich kein simpler Selbstzweck, sondern notwendige Voraussetzung
dafür, G'ttes Weisungen zu befolgen und dadurch ein 'Licht
für die Völker' zu sein, d. h. die Welt menschlicher machen zu helfen.
Rabbiner Lord Jakobovitz (1921-1999) sagte einmal: „Wir müssen
unbedingt einen Beitrag zur Entwicklung der Welt leisten, wir müssen
einen Einfluss auf die Moral der Welt haben; denn für das haben wir
die Geschichte schließlich überlebt. –...– Das Ziel des jüdischen Überlebens
ist es, einen wertvollen Beitrag in der Welt zu leisten. Dazu
muss das jüdische Leben erhöht, vertieft und verstärkt werden.“ (Y.
Nordmann 1996, S. 11)
Gegen Vergessen: Der tiefste Grund für das fundamentale Doppelgebot
des Gedenkens und des Nichtvergessens ist im jüdischen G'ttes-
Verständnis begründet: Denn der jüdische G'tt ist nur insoweit kenntlich,
als er sich im Geschehen der Geschichte offenbart, und genau
deshalb muss Geschichte unbedingt erinnert werden, wenn man das
Wirken G'ttes erkennen will. In dem für das jüdische Religionsverständnis
entscheidenden Dornbusch-Ereignis offenbart sich G'tt, indem
er zu Mose spricht: "Ich bin der G'tt deines Vaters, der G'tt Avrahams,
der G'tt Jizchaks, der G'tt Jaákovs... – nun geh, ich schicke dich
zu Pharao, führe mein Volk, die Söhne Jisraels, aus Ägypten!" (2 Mose
3, 1-17). G'tt erinnert Mosche an die Väter, weil das Volk seinen
G'tt als den seiner Väter unverwechselbar erkennt, indem es sich seiner
Taten erinnert. Der „Wappenspruch“ der Jüdischen Gemeinde von
Thessaloniki lautet: "G'tt erinnert, was Menschen vergessen."