Die Tragödie der chinesischen Revolution von Harold R. Isaacs | ISBN 9783886341092

Die Tragödie der chinesischen Revolution

von Harold R. Isaacs und Leo Trotzki
Mitwirkende
Autor / AutorinHarold R. Isaacs
Autor / AutorinLeo Trotzki
Buchcover Die Tragödie der chinesischen Revolution | Harold R. Isaacs | EAN 9783886341092 | ISBN 3-88634-109-7 | ISBN 978-3-88634-109-2

Der Aufstieg und Niedergang der Zweiten Chinesischen Revolution von 1925 bis 1927 ist eines der bedeutendsten politischen Ereignisse in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Diese gescheiterte Revolution endete mit dem Tod Zehntausender kommunistischer Arbeiter und der völligen Zerstörung der Kommunistischen Partei Chinas als Massenorganisation der Arbeiterklasse. Es ist unmöglich, die grundlegenden Probleme der modernen chinesischen Geschichte zu verstehen, insbesondere das Wesen des 1949 errichteten maoistischen Regimes, ohne die Lehren aus den Ereignissen der Jahre 1925 bis 1927 gezogen zu haben.
Im Jahr 1930 erklärte Trotzki: „Das Studium der Chinesischen Revolution ist für jeden Kommunisten und fortschrittlichen Arbeiter eine der wichtigsten und vorrangigsten Aufgaben. Es ist unmöglich, in irgendeinem Land ernsthaft über den Kampf für die Machtergreifung des Proletariats zu reden, ohne dass die proletarische Vorhut die grundlegenden Ereignisse, treibenden Kräfte und strategischen Methoden der Chinesischen Revolution studiert. Man kann nicht verstehen was Tag ist, ohne zu wissen was Nacht ist. Es ist nicht möglich den Sommer zu verstehen, ohne den Winter erlebt zu haben. Im selben Sinne ist es nicht möglich, das Wesen der Methoden des Oktoberaufstandes zu verstehen, ohne die chinesische Katastrophe zu studieren.“ (Leon Trotsky on China, Monad Press, New York, 1978, p. 475).
Die Perspektive der Chinesischen Revolution stand im Mittelpunkt von Trotzkis Kampf gegen die stalinistische Bürokratie. Seine Theorie der Permanenten Revolution wurde in diesem Kampf - zum zweiten Mal - einer grundlegenden Prüfung unterzogen. Stalin setzte sich mit Unterstützung des bürokratischen Apparates durch, was zum Verrat einer der viel versprechendsten revolutionären Möglichkeiten seit 1917 führte. Die Niederlage in China war ein entscheidender Schlag gegen die Linke Opposition. Ende 1927 wurde Trotzki aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und danach aus der UdSSR ausgewiesen.
Dieser Vortrag wird die entscheidende Rolle der revolutionären Führung in direkter Opposition zu den Standpunkten der postsowjetischen Schule der Fälschung untersuchen und hervorheben. Die Methoden und Argumente zweier Mitglieder dieser Tendenz, der britischen Historiker Ian Thatcher und Geoffrey Swain, wurden bereits in der jüngst veröffentlichten Arbeit David Norths Leon Trotsky & the Post-Soviet School of Historical Falsification (Mehring Books, Detroit, 2007) beleuchtet und widerlegt. Ihre Haltung zur Chinesischen Revolution verdient es hier beachtet zu werden.
Thatcher behauptet, Stalin und Trotzki hätten hinsichtlich der Ereignisse von 1925 bis 1927 denselben Standpunkt der „Notwendigkeit eines sozialistischen Chinas“ geteilt.
Damit werden zwei sich diametral gegenüberstehende Perspektiven in einen Topf geworfen. Trotzki repräsentierte die internationalistische Tendenz, die anerkannte, dass die erste sozialistische Revolution im rückständigen Russland nicht in erster Linie durch nationale Bedingungen, sondern durch die Widersprüche des Weltkapitalismus möglich wurde. Die Oktoberrevolution war lediglich der Auftakt der sozialistischen Weltrevolution in den Kolonien und den fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten. Trotzki hob hervor, dass es dem chinesischen Proletariat ebenso wie der russischen Arbeiterklasse möglich sei, die Macht zu ergreifen, weil die nationale Bourgeoisie in der Epoche des Imperialismus keine historisch progressive Rolle mehr spielen könne.
Im Gegensatz dazu ignorierte Stalin die Tatsache, dass die Produktivkräfte der imperialistischen Epoche über den historisch veralteten Rahmen der Nationalstaaten hinausgewachsen waren. Er sah die imperialistische Unterdrückung lediglich als ein äußeres Hindernis für den Aufstieg des chinesischen „nationalen“ Kapitalismus an. Ohne dieses Hindernis wäre dieser grundsätzlich in der Lage, den klassischen bürgerlichen Revolutionen Nordamerikas und Westeuropas zu folgen. Stalin bestand deshalb darauf, die Arbeiterklasse müsse sich zunächst dem Regime der bürgerlichen Kuomintang (KMT) unterordnen, damit die chinesische Bourgeoisie ihre national-demokratischen Aufgaben erfüllen könne. Die Perspektive der proletarischen Revolution wurde damit auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte verschoben.
Diese gegensätzlichen Konzeptionen brachten sehr unterschiedliches politisches Vorgehen mit sich. Trotzki forderte die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse, Stalin dagegen zwang die chinesischen Kommunisten in die Rolle der „Kulis“ der Kuomintang. Trotzki rief zur Bildung von Sowjets [Arbeiterräten] als Machtorgane der Arbeiter und Bauern auf, Stalin betrachtete die Kuomintang als eine Art revolutionär- demokratisches Regime. Trotzki warnte die chinesischen Arbeiter vor der Gefahr, die sowohl vom rechten als auch vom linken Flügel der Kuomintang drohte. Stalin ordnete sich zunächst der gesamten Kuomintang unter. Nach dem Massaker Chiang Kai-sheks an den Shanghaier Arbeitern im April 1927 befahl er den Kommunisten, sich dem „linken“ Kuomintang- Führer Wang Ching-Wei in Wuhan zuzuwenden - was drei Monate später auch für sie in einem Blutbad endete.
Nachdem die Revolution in der zweiten Hälfte des Jahres 1927 in eine Niedergangsphase eintrat, rief Trotzki zum systematischen Rückzug auf, um die Partei zu schützen. Stalins kriminelle Forderung an die Chinesische Kommunistische Partei, Putsche durchzuführen, zerstörte die bereits angeschlagene kommunistische Arbeiterorganisation in den großen Zentren gänzlich und kostete tausenden Parteikadern das Leben.
Diese grundsätzlichen Unterschiede haben nach Thatchers Meinung keinerlei Bedeutung für das tragische Ende der Zweiten Chinesischen Revolution. Selbst wenn die Kommunistische Partei sich 1926 von der Kuomintang gelöst hätte, wie es Trotzki forderte, „gibt es kein Anzeichen dafür, dass die Revolution 1927 größeren Erfolg gehabt hätte“, behauptet Thatcher. (Trotsky, Ian D. Thatcher, Routledge, 2003, p. 156).
Für Thatcher spielen in den entscheidenden Momenten der menschlichen Geschichte die politische Perspektive, das revolutionäre Programm, die Führung und die Taktik keine Rolle.
Die Ursprünge der Chinesischen Revolution
Die theoretische Vorbereitung der ersten sozialistischen Revolution, die im Oktober 1917 in Russland stattfand, erforderte jahrzehntelange Arbeit in der marxistischen Bewegung. In China gab es keine solche lange, vorbereitende Entwicklung. Ebenso wie die Entstehung der chinesischen Arbeiterklasse das Ergebnis des Eindringens ausländischen Kapitals in das halbkoloniale Land war, war die Entwicklung der chinesischen marxistischen Bewegung das Ergebnis der direkten Ausdehnung der Russischen Revolution und übersprang dadurch Jahrzehnte westlicher sozialdemokratischer Traditionen und sozialwissenschaftlicher Entwicklung. Die Erfahrung der Russischen Revolution war für China, das eine ähnliche soziale und historische Entwicklung wie Russland aufwies, bedeutsam. Beide Länder waren überwiegend agrarisch, hatten ungelöste demokratische Aufgaben und ein kleines, jedoch schnell wachsendes Proletariat.
Die große Tragik der Chinesischen Revolution bestand darin, dass unter der Führung Stalins das monumentale Ansehen der Russischen Revolution missbraucht wurde, um auf der Grundlage der menschewistischen „Zweistufentheorie“ eine opportunistische Politik durchzusetzen.
Für ein tieferes Verständnis der drei Konzeptionen der Russischen Revolution, der menschewistischen Zweistufentheorie, Lenins Konzept der Demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft und Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution ist das Studium von David North’s Vortrag „Ein Beitrag zur Neubewertung von Vermächtnis und Stellenwert Leo Trotzkis in der Geschichte des 20. Jahrhunderts“ aus dem Jahre 2001 besonders wichtig.
Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution, im positiven Sinne bestätigt durch den Verlauf der Russischen Revolution, wurde im negativen Sinne auf tragische Weise durch die Niederlagen der Revolution in China bestätigt.
Die Grundfragen der Chinesischen Revolution waren denen der Russischen Revolution sehr ähnlich. China stand vor der drängenden Aufgabe, die nationale Einheit zu erreichen und die von den Warlords und den imperialistischen Mächten erzeugte Spaltung zu überwinden. Weiterhin ging es darum, durch eine Agrarreform den Landhunger von Millionen armen Bauern zu stillen und die barbarische, halbfeudale Ausbeutung zu beenden. Die chinesische Bourgeoisie erwies sich jedoch als noch korrumpierter als ihr russisches Pendant, als abhängig vom Imperialismus, unfähig die Nation zu einen, organisch mit den Grundherren und den Wucherern auf dem Land verwachsen und dadurch unfähig die Agrarreform durchzuführen. Vor allem jedoch war sie von tiefer Furcht vor der jungen und kämpferischen chinesischen Arbeiterklasse erfasst.
Wie in Russland war auch in China das Wachsen der Industrie vom Auslandskapital abhängig. Zwischen 1902 und 1914 verdoppelten sich die Auslandsinvestitionen in China. In den folgenden fünfzehn Jahren verdoppelten sich die Auslandsinvestitionen nochmals, stiegen auf 3,3 Milliarden Dollar und dominierten Chinas wichtigste Industrien, insbesondere die Textilindustrie, die Eisenbahn und die Schifffahrt. 1916 gab es eine Million Industriearbeiter in China, 1922 waren es bereits doppelt so viele. Die Arbeiterschaft war in wenigen Industriezentren wie beispielsweise Shanghai und Wuhan konzentriert. Mehrere Zehnmillionen Halbproletarier - Handwerker, Ladenbesitzer, Angestellte und Landarme - teilten ihre sozialen Hoffnungen mit dem Proletariat.
Obwohl zahlenmäßig klein - einige Millionen bei einer Gesamtbevölkerung von über 400 Millionen - war das chinesische Proletariat doch durch die Widersprüche des Weltkapitalismus dazu bestimmt, eine führende Rolle in den revolutionären Kämpfen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zu übernehmen. Das Scheitern der ersten Chinesischen Revolution von 1911 unter der Führung von Sun Yat-sen zeigte, dass die chinesische Bourgeoisie gänzlich außerstande war, ihre eigenen historischen Aufgaben zu erfüllen.
Sun Yat-sen gewann mit Beginn der 1890er Jahre Unterstützung, nachdem die Mandschu-Dynastie Bestrebungen für eine konstitutionelle Monarchie zurückgewiesen hatte. Inspiriert von den klassischen bürgerlichen Revolutionen in Amerika und Frankreich vertrat Sun-Yat-sen die „Drei Prinzipien des Volkes“: Den Sturz des imperialen Systems, die demokratische Republik und die Nationalisierung des Bodens. Sun unternahm jedoch keinen Versuch eine Massenbewegung zu formieren und beschränkte sich weitgehend auf Verschwörungen, Putsche oder terroristische Aktionen gegen einzelne Mandschu-Beamte.
Die so genannte „Revolution“ von 1911 versetzte einer bereits vollkommen verrotteten Struktur lediglich den letzten Schlag, denn finanziell stand die Regierung nach jahrzehntelanger Plünderung durch die westlichen Mächte bereits am Rande des Bankrotts. Politisch war die Mandschu-Dynastie völlig diskreditiert, nachdem die imperialistischen Mächte chinesisches Territorium entweder als Kolonie oder - wie im Fall der Hafenstädte, wo ausländische Truppen, Polizei und Justiz herrschten - als „Konzession“ annektiert hatten. Im Jahre 1900 musste sich die im Sterben begriffene Mandschu-Dynastie auf ausländische Truppen stützen, um den Boxeraufstand, einen umfassenden antikolonialen Aufstand von Bauern und Landarmen, niederzuschlagen.
Als die Mandschu-Dynastie letztendlich konstitutionelle Reformen versprach, war es bereits zu spät. Große Teile der Bourgeoisie, der Bürokratie und des Militärs standen inzwischen auf der Seite Sun Yat-sens. Am 10. Oktober 1911 wurde nach einem Aufstand tausender Soldaten in Wuhan in der Provinz Hubei eine Republik ausgerufen. Der Aufstand dehnte sich schnell über mehrere chinesische Provinzen aus, aber das Fehlen einer echten Massenbewegung führte dazu, dass die Besitzstände unangetastet blieben. Das Resultat dessen war die lose föderierte „Republik China“ mit Sun Yat-sen als provisorischem Präsidenten.
Diese neue Republik war in Wirklichkeit in der Hand der alten Militärbürokratie, die jedem Versuch widerstand, den Bauern Land zu geben. Sun suchte schnell den Kompromiss mit diesen reaktionären Kräften und strebte lediglich die internationale Anerkennung der Republik China an. Die imperialistischen Mächte forderten Sun jedoch auf, die Präsidentschaft an den letzten Mandschu-Premierminister Yuan Shikai zu übergeben, der ihnen als verlässlicherer Herrscher erschien und Chinas halbkolonialen Status nicht in Frage stellen würde. Yuan wurde Präsident, wandte sich von Sun Yat-sen und seiner Kuomintang [Nationale Volkspartei] ab, setzte die Verfassung außer Kraft und löste das Parlament auf. Im Jahre 1915 ernannte sich Yuan mit der Unterstützung Japans selbst zum Kaiser. Sein kurzlebiger Versuch, das imperiale System wiederzubeleben, wurde durch die Revolte südchinesischer, die Republik befürwortender Generale beendet. Yuan wurde zum Rücktritt gezwungen und starb bald darauf.
Obwohl die Republik China dem Namen nach noch existierte, war sie doch unter rivalisierenden, jeweils von anderen imperialistischen Mächten unterstützten Warlords aufgeteilt. Die KMT hielt sich mit Unterstützung lokaler Generale in der südchinesischen Stadt Guangzhou (Kanton). Sun appellierte ohne Erfolg an die kleineren Warlords, die größeren zur Einigung Chinas aufzufordern.

Die Tragödie der chinesischen Revolution

von Harold R. Isaacs und Leo Trotzki
Mitwirkende
Autor / AutorinHarold R. Isaacs
Autor / AutorinLeo Trotzki
Die zweite chinesische Revolution 1925–1927 endete in einer blutigen Niederlage. Die Politik der Kommunistischen Internationale unter Stalin ordnete die Kommunistische Partei Chinas der bürgerlichen Guomindang unter und bereitete damit den Boden für die Zerschlagung der Revolution. Harold R. Isaacs, der die Zeit von 1930 bis 1935 mit der Recherche für seine Arbeit in China verbracht hat, untersucht und schildert die Ereignisse dieser bewegten Revolutionsjahre. Das Vorwort wurde von Leo Trotzki 1938 geschrieben, als Isaacs Buch zum ersten Mal erschien.