Werkauswahl Gerhard Branstner in 10 Bänden / Die Weisheit des Humors von Gerhard Branstner | Ein Hausbuch | ISBN 9783896264503

Werkauswahl Gerhard Branstner in 10 Bänden / Die Weisheit des Humors

Ein Hausbuch

von Gerhard Branstner
Buchcover Werkauswahl Gerhard Branstner in 10 Bänden / Die Weisheit des Humors | Gerhard Branstner | EAN 9783896264503 | ISBN 3-89626-450-8 | ISBN 978-3-89626-450-3

Werkauswahl Gerhard Branstner in 10 Bänden / Die Weisheit des Humors

Ein Hausbuch

von Gerhard Branstner
Mein lieber, treuer Leser, wenn Du es wirklich geschafft hast, die ersten neun Bände zu lesen, ob im Widerstreit mit mir oder in Übereinstimmung, hast Du den Ertrag dieser gewaltigen Leistung verdient. Und der Ertrag ist, daß Du ein schönes, großes Stück Leben gewonnen hast.
Noch ein Wort zum Verhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit. Die Möglichkeit ist in diesem Verhältnis der edlere Partner. In ihr äußert sich der Mensch mit seiner Phantasie, seinen umanistischen Illusionen, seinem beseren Wollen, wogegen die Wirklichkeit gewöhnlich nur das dürftige Überbleibsel ist, abgenagt von den vermeindlichen oder wirklichen Zwängen des Machbaren. Die Wirklichkeit aus dieser Verarmung und Erstarrung zu befreien ist höherer Zweck der Kunst, speziell der Literatur. Und wenn das Spiel mit der Wirklichkeit das beste Mittel ist, sie aus der Erstarrung zu befreien, dann muß die Kunst dieses Spiel vorahmen. Vorahmung des Spiels mit der Wirklichkeit ist die höchste Funktion der Kunst. Um des Möglichen willen. Aber: Ohne das Unmögliche zu wollen, ist das Mögliche nicht zu erlangen. Wenn Brecht darstellt, um das Dargestellte der Kritik auszuliefern, stelle ich dar, um das Dargestellte dem Spiel zu überantworten. Ein kleines Beispiel: Als ich für einige Zeit Berater von Schönemann am Landestheater Halle war, inszenierte Schönemann „Der Widerspenstigen Zähmung“. In der Rahmenhandlung soll ein Kesselflicker von adligen Spaßvögeln betrunken gemacht werden und schließlich glauben, daß er ein Adliger ist. Schönemann verlangte, daß der Schauspieler mit dem Brustton der Überzeugung protestiert: „Ich bin Kesselflicker! “. Das sollte proletarischen Effekt machen. Nach der Probe meinte ich zu Schönemann und Wolfram, dem Intendanten, daß es schöner wäre, wenn der Kesselflicker sich so blöd stellen würde, wie die adligen Spaßvögel glaubten, daß er es sei und an der Stelle, wo ihm gesagt wird, daß er als Adliger bei der Jagd über eine Hundemeute verfügt laut „Wauwau!“ kläfft, um zu zeigen, daß er weiß, was eine Hundemeute ist. Da die Adligen darauf hereinfallen und sich köstlich amüsieren, erweist sich der Kesselflicker als der Überlegene, der Schauspieler hat was zu spielen und die Zuschauer freuen sich, indem sie das Spiel durchschauen. Das auch als Beispiel, wie Shakespeare modern gespielt werden kann. Ich gab den beiden noch einige andere Beispiele für diese Inszenierungsweise. Wolfram war ziemlich konsterniert und meinte, daß die Proben eigentlich noch mal von vorn beginnen müßten, nämlich nach meinen Vorstellungen. Was der Terminplan natürlich nicht erlaubte. Die „Weisheit.“ ist eine Auswahl, ein Resümee aus den vorigen Büchern, um Dir, lieber Leser, als Vortragsbuch zu dienen. Leider ist der Brauch, bei guter Gelegenheit Literatur vorzutragen, zunehmend verlorengegangen. Und die Literatur kommt dem auch noch entgegen und wird immer weniger vortragsfähig. Damit Du nicht alle meine Bücher mit Dir herumschleppen mußt, habe ich das zehnte angefertigt, in dem alles für den Vortrag Geeignete enthalten ist. Probiere es aus, und Du wirst es mir danken. Ein letztes Wort. Nimm es mir, lieber Leser, nicht übel, daß ich nirgends das Entstehungs- oder Erscheinungsdatum angegeben habe. Ich weiß es nämlich meistens selber nicht, da ich mir das nicht notiere oder merke. Vor allem ist ja die Differenz zwischen der Entstehung und dem Erscheinen interessant, aber um das herauszufinden, wäre ich völlig überfordert. Damit, lieber, geneigter Leser, verabschiede ich mich von Dir und hoffe, daß meine Bücher Dir Dein Leben lang vergnügliche und nützliche Begleiter sind.
Auf immer, Dein Gerhard Branstner