Nachmitternachtssonne

Julia Ziegler war Juristin und engagierte sich für die Rechte von Flüchtlingen, Folteropfern und Opfern von Kriegsverbrechen. Ein Flugzeugabsturz im Kosovo setzte ihrem Engagement und ihrem Leben ein abruptes Ende – mit 27 Jahren. In ihrem Nachlass fanden ihre Eltern unerwartet eine Vielzahl von Gedichten. In ihnen wird deutlich, welche Spannung in ihr durch Abschied und Trennung entstanden sein muss, wie sehr sie mit Tod und Sterben konfrontiert wurde, wie sehr sie Sehnsucht und Trauer und Fragen an das Leben bis zur Schlaflosigkeit hin beschäftigten. Auf poetisch einzigartige Weise hat sie dies gestaltet. Der Authentizität verpflichtet hat sie für manches neue Wörter, neue Bilder geschaffen, wie z. B. deutlich wird in den Zeilen: „Die Wellen verbreiten ihr Wissen“ oder „Nachts, wenn die Trauer Mut hat“ oder in den neuen Wortbildungen: „Nachmitternachtssonne“, „Regenbogenhaus“, „Tränengrenze“, die „Winddurchtriebene“, „Abschiedsschlaf“, „Sehnerwarten“, „Vakuumsschlaflosigkeit“, „Heckenrosentraum“, „sternschnuppenmäßig“ oder in Fügungen wie „scharlachroter Buchstabe“. Ihre poetische Sprachkraft geht mit absoluter Wahrhaftigkeit einher und bringt so unverwechselbar Eigenes hervor.