Wer wohnt schon in der Ziethenstraße? von Brigitte Wiers | Episoden einer Kindheit im Revier | ISBN 9783928568500

Wer wohnt schon in der Ziethenstraße?

Episoden einer Kindheit im Revier

von Brigitte Wiers
Buchcover Wer wohnt schon in der Ziethenstraße? | Brigitte Wiers | EAN 9783928568500 | ISBN 3-928568-50-7 | ISBN 978-3-928568-50-0
Dies ist ein Buch, dass für Historiker ebenso interessant ist wie für denjenigen, der sich ein Bild von dem Möglichkeiten machen will, die Eltern und Kinder geben sind, auch in widrigen Zeiten ein anständiges Leben zu führen.

Wer wohnt schon in der Ziethenstraße?

Episoden einer Kindheit im Revier

von Brigitte Wiers
Wer wohnt schon in der Ziethenstraße? Ja, wer wohnt schon in einer so schäbigen und unbedeutenden Straße im Herzen von Gelsenkirchen – der Stadt der tausend Feuer? Und wer kann sich vorstellen, dass es von hier aus – unmittelbar nach Beendigung des 2. Weltkrieges Krieges – einen Weg gibt, in England als Krankenschwester zuarbeiten? Das man sich mit dem berühmten Seefahrer und Abenteurer Graf Luckner bei einem Abendessen darüber unterhalten kann, ob das Lernen in der Schule wirklich fürs Leben vorbereitet?
Eva, die Heldin dieser wahren Erzählung, kommt hier 1930 als sechstes Kind eines Handwerks-meisters zur Welt. Dieser Mikrokosmos, so klein und unbedeutend er auch erscheint, lehrt die Heldin alles was sie braucht, um das Leben zu meistern, ohne den Nazis auf den Leim zu gehen. Mit seinem vielfältig kleinen und großen Dramen, mit seinen Tragödien und Komödien, mit dem Auf und Ab der wirtschaftlichen Verhältnisse enthält der Alltag alle Herausforderungen und Hilfen, die Kind braucht, um erwachsen zu werden. Auch die Geschichte der Vorfahren wirkt in die Gegenwart hinein: Da sind der Großvater mütterlicherseits, der in Essen die erste Brotfabrik mit elektrischem Antrieb führt; sein Vetter Michael, der mit seinem Bruder die Brillenfabrik Rodenstock gründet, sowie der Großonkel Christoph Wieprecht, dessen Gedichte über die Arbeitswelt sie in der Schule auswendig lernt. Und da ist der Großvater väterlicherseits, dessen Familie irgendwann von Frankreich an die Ruhr verschlagen wurde und um die Jahrhundertwende Evas Elternhaus in der Ziethenstraße aufgebaut hat. Doch ihr Aktionskreis bleibt nicht auf die nähere Umgebung beschränkt – Besuche bei der Tante, die im Rheinland als Dorfschullehrerin arbeitet und ein unvergesslicher Urlaub auf der Insel Rügen erweitern den Horizont des Ruhrpott-Kindes. Noch hat die „braune Saat“ das Bewusstsein des Kindes kaum erreicht, doch mit Ausbruch des Krieges spürt auch sie, dass das Ende der Beschaulichkeit gekommen ist. Kaum jemand kann sich der suggestiven Kriegs- und Nazipropaganda entziehen. Menschen, die den gelben Stern tragen, verwirren Eva, ohne dass sie der Sache auf den Grund geht. Der Vater stirbt, der älteste Bruder wird eingezogen, die Mutter muss nun den Handwerksbetrieb allein weiterführen. Als das Ruhrgebiet mit Bomben belegt wird, evakuiert Evas Schule nach Bayern. Wie wird das junge Mädchen - weitab vom Elternhaus - mit den Problemen der Pubertät fertig? Noch glaubt sie an das „Dritte Reich“. Erst die Begegnung mit dem Seeteufel Graf Luckner - einem entschiedenen Gegner Hitlers - macht ihr bewusst, wie sehr man ihren jugendlichen Idealismus missbraucht hat. Zur gleichen Zeit - gegen Ende des Krieges – meldet sich ihr jüngerer Bruder mit Siebzehn zur Waffen-SS. Unfassbar ist es für Eva, was sie nach dem Krieg über die Gräuel unter der Nazi-Diktatur in den KZs erfährt. Auch ihr Bruder kann nicht fassen, wie sehr man seinen Glauben an Ideale missbraucht hat. Doch das Leben geht weiter. Während die Schule zunächst für ein Jahr geschlossen bleibt, fertigt Eva aus alten Röntgenbildern Handtaschen an, von dessen Erlös die Familie auf dem Schwarzmarkt Lebensmittel kaufen kann, während die Mutter versucht, durch Hamsterfahrten mit dem bekannten Maler Bienroth und dessen exzentrischer Frau Bilder und Lacke gegen Speck und Hühner einzutauschen. Als Eva 1948 endlich die Mittleren Reife erreicht, findet sie trotz zahlreicher Stellengesuche keine Lehrstelle. Da nutzt Eva die Chance, sich in England zur Krankenschwester ausbilden zu lassen. Dort - jenseits des Kanals – wird sie eine neue Welt kennen lernen und trotz der guten Erfahrungen irgendwann zurückkehren in den Ruhrpott, den sie mit all seinen Schwächen und Vorzügen lieben gelernt hat. I. Die frühen Jahre Wie war doch der Anfang? 10 Das jüngste Küken im Stall 12 Nicht allein das ABC 14 Tante Luise und das Land 19 Die Dorfschule 25 Blumen für Mama 28 Wer wohnt schon in der Ziethenstraße 32 Alles Chaos oder was 36 Himmel und Erde 43 Was weißt du schon von deinen Ahnen 47 Anna klopft an die Himmelstür 52 Sommerfreuden - trotz allem 56 Zur Geisterstunde 60 Tante Mattas kleine Welt 63 Heimliche Liebe 67 Und Pfarrer Plümpe wundert sich 72 Das Ende der Beschaulichkeit 79
II. In Zeiten des Krieges Mutter, was ist Krieg 87 Ich will auch zur KLV 91 Lern, Kleines, lern 96 Die Welt der Bücher 100 Die braune Saat 104 Lavinia, das Zigeunermädchen 109 Meine Geige und ich 113 Und dann stürmen wir die Isenburg 116 Braunchen – das Hühnchen 122 Von großen und von kleinen Tieren 124 Abschied von Papa 128 Tante Luise und das Meer 132 Der den gelben Stern trug 141 Bomben, Zweifel und Parolen 147 Eine Schule zieht nach Bayern 150 Dieses Lagerleben 155 Die Stille des Waldes 159 Wer bin ich 164 Besuch der großen Schwester 169 Tadle nie die Briefe der Soldaten 174 Was macht ein Seeteufel in Bayern 178 Morsen für Deutschland 184 Die Amis kommen 187 Zurück ins Revier 190
III. Und das Leben geht weiter Krempeln wir die Ärmel hoch 197 Wie viele Taschen braucht das Land 200 Die Rückkehr der Brüder 203 Hühner, Gänse und Gemälde 210 Der Maler und sein Paradies 216 Unser lieber Herr Pilz 222 Wohin - an Rhein oder Ruhr 225 Wenn der weiße Flieder wieder blüht 232 Schule ade - was nun 238 Die verflixten Milchmarken 241 Tante Luise und die Stadt 246 Als Gastarbeiterin nach England 250 Willkommen in einer neuen Welt 256 Meine ersten Tage im Hospital 259 So viele Begegnungen 266 Bettpfanne und Karbolgeruch 274 Eine afrikanische Prinzessin 280 Kamingeflüster 285 Dieses London 289 Ein Baron auf der Station 293 Zwischen Leben und Tod 299 Rotkäppchen trifft Wolf 302 Wer hat Dornröschen wach geküsst 306 Das Ende einer langen Reise 309 Ausklang: Wer wohnt noch in der Ziethenstraße 312. Teil 1: „Die frühen Jahre“ (1930 – 1939)
Vor allem das quirlige Familienleben mit fünf Geschwistern und die Spiele in den Hinterhöfen des Arbeiterviertels prägen die frühe Kindheit. Mit dem Lernen des ABC’s beginnt eine neue Entwicklungsphase: die Wörter bekommen Flügel, regen Fantasie und Geist an. Die Geschichte der Ahnen wirkt in die Gegenwart hinein, zieht sie in ihren Bann. Ausflüge ins Ruhrtal bringen Glanzlichter in den Alltag, und Ferien im Rheinland erweitern den Horizont des Ruhrpottkindes. Noch hat die „braune Saat“ der Nazis das Bewusstsein des Mädchens kaum erreicht. Erst als die Mutter 1939 aus Furcht vor dem drohenden Krieg ihre Tochter vorzeitig aus den Ferien von einem hessischen Bauernhof abholt, spürt auch sie deutlich, dass „das Ende der Beschaulichkeit gekommen ist“.
Teil 2: „In Zeiten des Krieges“ (1939 – 1945) Die Geschichten des zweiten Teils erzählen vom Übergang zur Mittelschule, vom BDM und Jungvolk. Ferien an der Ostsee mit der Tante werden zu einem unvergesslichen Erlebnis. Nur wenig später stirbt der geliebte Vater, die Mutter muss den Handwerksbetrieb nun allein weiterführen. Kurz nach ihres Vaters Tod stirbt auch ihr Großonkel, der Arbeiterdichter Christoph Wieprecht. Ein im elterlichen Betrieb beschäftigter Malergeselle, der den gelben Stern trug, wird trotz der Proteste der Mutter deportiert. Auch andere jüdische Mitbürger verschwinden aus ihrem Gesichtskreis. Die Schrecken des Krieges werden größer, die Bombennächten im Revier immer häufiger. Die Behörden ordnen die Evakuierung der Gelsenkirchener Mädchenmittelschule nach Bayern an. Dort, weit ab von der Familie, beginnt für Eva eine Zeit des Suchens, Findens und Verirrens. Der älteste Bruder wird eingezogen, der zweite Bruder meldet sich mit 17 Jahren freiwillig zur SS, um für Führer, Volk und Vaterland zu kämpfen. Eine Begegnung mit dem Seeteufel Graf Luckner - einem erklärtem Gegner Hitlers - lässt Eva endgültig an den Idealen der Nationalsozialisten zweifeln. Nach Einzug der Amerikaner in Bayern wird sie konfrontiert mit den unvorstellbaren Gräueln der Nazizeit. Als der Krieg zu Ende ist, gelingt Eva mit ihren Kameradinnen die heimliche Flucht aus Bayern zurück in ihre zerstörte Heimatstadt Gelsenkirchen.
Teil 3: „Und das Leben geht weiter“ (1945 – 1948) Der letzte Teil berichtet über den Versuch, wieder Fuß zu fassen in der Nachkriegszeit, über das Hamstern, den Schwarzmarkt und die Rückkehr der Brüder. Das Jahr, in der die Schulen noch geschlossen bleiben, wird überbrückt durch die Produktion von Taschen aller Art aus alten Röntgenbildern und das Betreuen der Hühner, Gänse und Gemälde im kleinen „Paradies des Malers“ Wilhelm Bienroth. Mit dem Abschluss der Mittleren Reife beginnt die verzweifelte Suche nach einer Lehrstelle – damals ebenso schwierig wie heute. Nach einer kurzen Anstellung im versteinerten Haushalt eines Gelsenkirchener rheinländischen Familie nimmt die Protagonistin die Chance wahr, eine Krankenpflegeausbildung in England zu starten. Sie wird dort eine neue Welt kennen lernen und neue Freunde gewinnen. Doch irgendwann wird ihr bewusst, dass Heimat dort ist, wo man seine Kindheit verlebt hat, und sie wird in den Kohlenpott zurückkehren, den sie mit all seinen Vorzügen und Schwächen lieben gelernt hat.