Das Auge hört mit von Matthias Kassel | Mauricio Kagels Instrumententheater von "Der Schall" bis "Zwei-Mann-Orchester" | ISBN 9783931264413

Das Auge hört mit

Mauricio Kagels Instrumententheater von "Der Schall" bis "Zwei-Mann-Orchester"

von Matthias Kassel
Buchcover Das Auge hört mit | Matthias Kassel | EAN 9783931264413 | ISBN 3-931264-41-6 | ISBN 978-3-931264-41-3
Inhaltsverzeichnis
Leseprobe

Das Auge hört mit

Mauricio Kagels Instrumententheater von "Der Schall" bis "Zwei-Mann-Orchester"

von Matthias Kassel
Die seit 1996 in der Basler Paul Sacher Stiftung bestehende Sammlung Mauricio Kagel war von Beginn an ungewöhnlich facettenreich, denn der Komponist übergab dem Archiv neben handschriftlichen Skizzen, Partiturentwürfen und Reinschriften kontinuierlich auch zahlreiche Ton-, Bild- und Filmdokumente, in denen sich sein multimedial ausgreifendes Schaffen spiegelt. So steht der Forschung ein breiter Materialfundus zur Verfügung, um Kagels Arbeiten in allen Sparten – von der nicht selten durch Zuspielbänder und Projektionen erweiterten Konzertmusik über die Bühnenwerke bis hin zu Hörspielen und Filmen – angemessen zu untersuchen. Dennoch erschloss eine im Jahr 2004 erfolgte Ergänzung dem Bestand nochmals eine völlig neue Dimension: Sie enthielt Kagels mehrere hundert Objekte umfassende Sammlung von Instrumenten, Klangerzeugern und Requisiten, welche er über mehrere Jahrzehnte hinweg zusammengestellt und für seine Werke genutzt hatte. Was hier von Kagel und den Spielern des Kölner Ensembles für Neue Musik zur Ausarbeitung und Aufführung von »Acustica«, »Unter Strom« und anderen in diesem Buch diskutierten Kompositionen zusammengetragen und spielpraktisch entwickelt wurde, lässt sich mit einem konventionellen Verständnis des Begriffs »Instrument« nur unzulänglich erfassen. Begrifflich angemessener erscheint die neutralere und zugleich umfassendere Bezeichnung »Klangerzeuger«, die von Kagel und seinen Mitspielern für ihr Instrumentarium gerne benutzt wurde. Sie verdeutlicht die Heterogenität des ge- und erfundenen Spielmaterials und deutet darüber hinaus den experimentellen Ansatz der daraus entwickelten Instrumentenstudien an, in welchen die herrschende Konvention des Instrumentenbegriffs mit musikalischen Mitteln gezielt hinterfragt wurde.
Wie genau aber sind nun diese Kompositionen Kagels einzuordnen, in denen Dutzende von Klangerzeugern zu Protagonisten des Klang- und Aufführungsgeschehens werden? Zeigen sie Fortsetzungen und quantitative Auswucherungen des Instrumentalen Theaters? Handelt es sich überhaupt um Theater in irgendeiner Form oder eher um kuriose Instrumentalmusik, instrumentalen Zirkus, klingende Objektkunst oder um bühnenwirksam eingerichtete Experimente an den Rändern des musikalisch Üblichen? Auf den ersten Blick lassen sich für all diese Kategorisierungen Argumente finden; schon der zweite Blick erkennt jedoch unter der ungewohnten, oftmals skurrilen Oberfläche der Werke eine strukturelle Vielschichtigkeit, die sich bei näherer Betrachtung zu komplexen Klang- und Instrumentalstudien auffächert. Einfache, geradlinige Erklärungen sind aus den Partituren und den zugehörigen Sammlungen von Instrumenten nicht herauszulesen, so dass eine intensivere Beschäftigung mit diesen Kompositionen angebracht und vielversprechend erschien.
Zur Untersuchung dieser historischen Experimente aus heutiger aufführungspraktischer Sicht wurde zunächst 2006/07 ein Aufführungs- und Forschungsprojekt zu Kagels »Der Schall« (1968) an der Hochschule für Musik der Musik-Akademie Basel initiiert, das in Konzerte und ein begleitendes Symposium mündete. Dem folgte 2011, in einer Kooperation von Hochschule für Musik, Paul Sacher Stiftung und Museum Tinguely, die Ausarbeitung einer Neufassung des »Zwei-Mann-Orchesters« (1971–1973), welche ebenfalls wissenschaftlich begleitet und dokumentiert wurde. In beiden Fällen zeigte sich – neben der eindrücklichen Bühnenpräsenz dieser Experimentalstücke – die Aktualität der darin eingeschlossenen konzeptionellen und kompositorischen Fragestellungen für die gegenwärtige Aufführungspraxis, da viele der damit verbundenen ästhetischen und spielpraktischen Voraussetzungen bereits in historische Distanz gerückt und von jüngeren Interpreten wieder neu zu erschließen sind. Im Rahmen dieser Aufführungsprojekte hat sich das übergreifende Thema des Instrumententheaters in Kagels Schaffen allmählich herauskristallisiert und, beim Versuch einer greifbaren Abgrenzung vom bekannten Instrumentalen Theater Kagels, weitere Fragestellungen ausgelöst, denen es nachzugehen galt. Ausführliche Informationen erhalten Sie unter www. editionargus. de