Wildnis in Schleswig-Holstein von Henning Thiessen | ISBN 9783937937496

Wildnis in Schleswig-Holstein

von Henning Thiessen
Buchcover Wildnis in Schleswig-Holstein | Henning Thiessen | EAN 9783937937496 | ISBN 3-937937-49-8 | ISBN 978-3-937937-49-6

Wildnis in Schleswig-Holstein

von Henning Thiessen
Ist es nicht etwas vermessen von Wildnissen in Schleswig-Holstein zu sprechen? Ja zugegeben – wenn man an tropische Urwälder, afrikanische Savannen oder kanadische Weiten denkt, mutet es schon seltsam an, in unserm Land an Vergleichbares zu denken. Nein – große von Menschen kaum genutzte Landstriche gibt es natürlich nicht bei uns. Sicher schon ganz lange nicht und möglicherweise auch nicht solange es Menschen gibt. Menschliches Wirken ist mehr oder weniger kontinuierlich seit der letzten Eiszeit vor 12000 Jahren und auch während der Eiszeit am Rande des Eises nachzuweisen. Aber natürlich war der Einfluss der Menschen auf die Natur anders als in späteren Zeiten. Als Jäger und Sammler haben sie den Tieren aber immerhin offenbar so intensiv nachgestellt, dass viele Arten verschwunden sind. Mit der Sesshaftwerdung wurden Tiere und Pflanzen domestiziert und Land kultiviert. Alles was nutzbar war wurde im Rahmen der Möglichkeiten auch genutzt. So gibt es vermutlich kaum einen Fleck bei uns, der nicht wenigstens irgendwann einmal menschliche Einflüsse erfahren hat.
Erst seit etwa 100 Jahren gibt es das Bemühen Reste der schwindenden Natur zu schützen – der Naturschutz forderte den Schutz von Arten und Gebieten, in denen die Natur Vorrang hatte vor menschlicher Nutzung. Dabei stand aber der Schutz ungestörter Naturabläufe nicht im Vordergrund, sondern einzelne Arten oder besondere Kulturlandschaften. Die Idee der Nationalparke kam aus den USA und erst später wurde die Philosophie des Nichteingreifens in die Natur formuliert und gilt heute weltweit als Leitlinie für Nationalparks, insbesondere für großflächige Landschaften. Dabei handelt es sich häufig um Gebiete, die durchaus nicht ohne menschliche Nutzung waren, die aber zumindest in Teilbereichen sich durch Nutzungsverzicht zu „Wildnissen“ entwickeln sollen. So wurden in Deutschland nach dem Bayrischen Wald u. a. das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer und vor allem nach der Wiedervereinigung 10 weitere Gebiete zu Nationalparken erklärt.
Heute gibt es 14 Nationalparke in Deutschland. In diesen Gebieten wird das Ziel verfolgt, Nutzungen, soweit noch vorhanden, aufzugeben und die Natur eigendynamisch sich entwickeln zu lassen. Unser Wattenmeer ist der größte Nationalpark in Deutschland.
Naturschutzgebiete werden in Schleswig-Holstein seit 1923 ausgewiesen. Bis heute sind es 191 Gebiete   mit insgesamt 2,3% der Landesfläche. Es handelt sich um einige nicht genutzte Gebiete und überwiegend um alte besondere historische oder artenreiche Kulturlandschaftsausschnitte, die nach Zielen des Naturschutzes gepflegt und entwickelt werden.
Neben einigen Naturschutzgebieten gibt es aber eine Reihe weiterer Landschaftsteile, die zumindest seit längerer Zeit nicht genutzt werden, aufgrund ihrer Situation nicht nutzbar sind oder sich seit einigen Jahren auf dem Wege befinden zu einer „Wildnis von morgen“.
Unser Verhältnis zur Wildnis ist ambivalent und bewegt sich zwischen Faszination und Furcht. Die großartige Erhabenheit der Alpenberge, die Weite vieler Meeresküsten zieht viele Menschen an, die Undurchdringlichkeit eines Sumpfwaldes, eines Weidendickichts oder einer Hochstauden-Brachfläche wirkt auf die meisten von uns nicht einladend. In einem unordentlichen Wald kann man nicht ordentlich spazieren gehen. Unser ästhetisches Empfinden konkurriert mit unserer Angst vor Unordnung, Unübersichtlichkeit, Kontrollverlust oder Gefahren. Die Sichtweise hat aber auch etwas mit unserer Unkenntnis über Natur in ihrer Verschiedenartigkeit zu tun.
In dieser Broschüre sollen einige dieser Gebiete vorgestellt werden um auf die besondere Wertigkeit hinzuweisen, um das Bewusstsein zu wecken und den Blick zu lenken auf Natur, die sich ohne unseren Einfluss entwickelt, in der wir Natur in ihrer Ursprünglichkeit begegnen können, die etwas von der besonderen Ästhetik , Eigenart und Vielfalt ungestörter Natur vermitteln, die uns vielleicht staunen lässt über das was Natur macht, wenn wir „Natur Natur sein lassen“.   Der besondere Erfolg von Nationalparks und größeren Schutzgebieten weist darauf hin, dass viele Menschen offenbar eine gewisse Sehnsucht nach „Wildnis“ haben und Erholung in ihr suchen. Diese „Sehnsucht“ nach wilder Natur geht durch die ganze Menschheitsgeschichte und ist immer wieder auch Gegenstand in der Malerei und der Literatur. Natur nicht nur als Objekt der Ausbeutung, sondern auch der Erholung und der Kontemplation – durchaus auch der Traum von der Wildnis und die Suche nach dem verlorenen Paradies.