Hans Karl Zeßner-Spitzenberg von Manfried Welan | Eine Biographie | ISBN 9783950450071

Hans Karl Zeßner-Spitzenberg

Eine Biographie

von Manfried Welan und Peter Wiltsche
Mitwirkende
Autor / AutorinManfried Welan
Autor / AutorinPeter Wiltsche
Buchcover Hans Karl Zeßner-Spitzenberg | Manfried Welan | EAN 9783950450071 | ISBN 3-9504500-7-6 | ISBN 978-3-9504500-7-1
Historisch Interessierte zu den Themen Österreich; 1918-1938; Ständestaat; NS-Opfer

Hans Karl Zeßner-Spitzenberg

Eine Biographie

von Manfried Welan und Peter Wiltsche
Mitwirkende
Autor / AutorinManfried Welan
Autor / AutorinPeter Wiltsche
Zur Person Hans Karl Zeßner-Spitzenberg: Der am 4. Februar 1885 im Schloss Dobritschan (bei Saaz/Žatec, Nordböhmen) auf dem elterlichen Gut geborene Hans Karl von Zeßner-Spitzenberg lernte schon früh im Saazer Staatsgymnasium den Radikalismus einer deutschnationalen und antiklerikalen Umwelt kennen. Seine Klassenkollegen schwärmten von Wilhelm II. und bejubelten die Führer der Deutschnationalen, Georg Ritter von Schönerer und Karl Hermann Wolf. Die deutschsprachigen Gebiete Böhmens waren damals die Hochburgen der radikalen deutschen Parteien Österreichs. Der junge Aristokrat dagegen fühlte sich als Österreicher im übernationalen Verständnis des Wortes. Er wurde früh ein tiefgläubiger Katholik und interessierte sich für soziale Fragen seiner noch feudal geprägten ländlichen Umgebung. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Prag und Berlin und wurde Mitglied mehrerer katholischer Studentenverbindungen. 1909 trat er bei der Prager k. k. Statthalterei in den Verwaltungsdienst ein. Bald arbeitete er in der jungen christlichsozialen Partei mit. Über das Statistische Zentralamt und das Ackerbauministerium führte ihn seine Laufbahn in den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes, wohin ihn Karl Renner berufen hatte, wo er von 1919 bis 1931 wirkte und dessen stellvertretender Leiter er wurde. 1920 habilitierte er sich an der Hochschule für Bodenkultur für Verfassungs- und Verwaltungsrecht. 1930 publizierte Zeßner-Spitzenberg das Buch „Das österreichische Agrarrecht“. Es wurde ein Klassiker und ist bis heute Vorbild für Agrarjuristen. 1931 erfolgte seine Berufung auf die Lehrkanzel für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Bodenkultur. Die soziale Frage im ländlichen Raum hatte ihn schon vor dem Ersten Weltkrieg praktisch und theoretisch beschäftigt. Er schloss als Gutsherr von Dobritschan mit den dortigen Landarbeitern den ersten Kollektivvertrag in diesem Bereich ab. Sein Vortrag „Ein kollektiver Arbeits- und Tarifvertrag“, den er im Club der Land- und Forstwirte 1913 hielt, und die entsprechende Publikation machten ihn als Fachmann bekannt. Seine „Einführung in die Landarbeiterfrage“ erschien 1920 in zweiter Auflage. Sie ist seinem Berliner Lehrer Max Sering gewidmet und legt diese Frage vom Standpunkt des Arbeiters, von dem des praktischen Landwirtes und von dem des Wirtschafts- und Sozialpolitikers dar. Diese Arbeit ist noch heute lesenswert, um die Landwirtschaft als eine besondere Lebensform zu verstehen. 1936 erschien sein „Aufbau des Berufsstandes Land- und Forstwirtschaft“. Er beschreibt das Bundesgrundsatzgesetz über diesen Berufsstand, der als erster und einziger eingerichtet wurde. Als Rechtslehrer war er „Professor“ in der schönsten Bedeutung des Wortes: Er war Bekenner seiner Überzeugungen und des von ihm für richtig Erkannten. Er war Naturrechtler in einer Welt von Rechtspositivisten. Als Rechtspraktiker und auch als publizierender Rechtswissenschaftler arbeitete er im Sinne des Rechtspositivismus. Zeßner blieb seinen Jugendidealen nach dem Umbruch 1918 treu. Wie er sich schon vor 1918 nicht als Deutscher in einem Vielvölkerstaat, sondern als Österreicher im übernationalen Verständnis des Wortes gefühlt hatte, so hatte er ein geradezu europäisches Österreichbewusstsein in der Republik. Österreich sollte nach ihm sein übernationales Wesen in einer Donaugemeinschaft pflegen und betätigen. Er war Legitimist und ein tiefer Verehrer Kaiser Karls, dem er das Buch „Kaiser Karl“, das 1953 von Erich Thanner herausgegeben wurde, gewidmet hat. Er sah in Karl das Ideal des katholisch-österreichischen Menschen und ein Vorbild. In der Legitimistischen Bewegung, insbesondere im Reichsbund aller Österreicher engagiert, pflegte er ständigen Kontakt mit der kaiserlichen Familie. Er engagierte sich früh für die Seligsprechung Karls, die 2004 erfolgte. Mit Ernst Karl Winter, mit dem ihn ein Österreichbewusstsein auf dem Grund einer „sozialen Monarchie“ verband, August Maria Knoll, Alfred Missong und Wilhelm Schmidt gründete er im Herbst 1926 die „Österreichische Aktion“. Es ging um den Kampf für ein selbständiges Österreich und gegen die deutschnationalen Tendenzen fast aller Gruppierungen.
In „Die Zukunft des Hauses Österreich“ (1927) schreibt Zeßner:
„Das Österreich, dessen Name vom Hause Österreich und nicht vom Stammlande Österreich abgeleitet ist, ist kein bloßes deutsches Reichslehen und auch kein imperialistisches Österreich im Sinne zentralistischer Angliederung unterworfener Provinzen unter Wien und das Erzösterreichische Stammland etwa nach preußisch–brandenburgischer Methode. Nein, es ist die durch das gottbegnadete Haus Österreich im grundlegenden Dreiklang böhmischer, ungarisch-kroatischer und erzösterreichischer Kulturkräfte im Herzen Europas begründete übernationale Völkerfamilie.“ Auf der Hochschule für Bodenkultur hatte es Zeßner nicht leicht. Sie war eine deutsch-nationale Hochburg. Das bezieht sich vor allem auf Studenten, die ab 1933 immer mehr nationalsozialistisch agierten, als auch, von Ausnahmen abgesehen, auf Professoren. Zeßner musste als Disziplinaranwalt gegen Studierende vorgehen. Raufereien und Absingen von Naziliedern gehörten zum Alltag der Hochschule. Zeßner unterstützte die Regierung Dollfuß im Kampf gegen den Nationalsozialismus und für ein selbstständiges Österreich. Er wurde Mitglied des Bundeskulturrates nach der ständisch-autoritären Verfassung 1934. Die Öffnung, die Schuschnigg in der Folge in die Richtung der „Nationalen“ einschlug, war nicht sein Ziel. Sein Österreichbewusstsein war ganz anders. Für ihn ist nicht die deutsche Sprache und die Sprachnation maßgebend, sondern die aus der Geschichte und Lebensform entwickelte österreichische Kulturnation. „Denn nicht die Sprache, sondern die Art des Kulturwillens, die Sendung und die Lebensform sind das Entscheidende für ein Volkstum.“ Es sei bemerkt, dass damals ähnliche Vor- und Feststellungen im kommunistischen Untergrund vertreten wurden. Politische Bildung war für Zeßner eine besondere Herausforderung. Seit 1935 hielt er an mehreren Hochschulen Vorlesungen über weltanschauliche und vaterländische Erziehung. Er plante sogar die Einrichtung einer Österreichischen Akademie. 1937 werden in der Vaterländischen Front ein volkspolitisches und ein Traditionsreferat errichtet. Zu dessen Leiter wird Zeßner ernannt. Es geht um die „Pflege der ungebrochenen Einheit der durch Jahrhunderte reichenden altösterreichischen Tradition“. Das andere Referat macht geradezu das Gegenteil: Es dient der Öffnung gegenüber den Deutschnationalen und damit der nationalsozialistischen Unterwanderung. Zeßner versucht dagegen die von dem aus Deutschland emigrierten Universitätsprofessor Dietrich von Hildebrand 1933 gegründete Zeitschrift „Der christliche Ständestaat“ zu fördern. Durch Gründung einer österreichischen Kulturvereinigung anfangs 1938 versucht er die finanziellen Schwierigkeiten der Zeitschrift zu überwinden. Nach dem am 12. Februar 1938 stattgefundenen Treffen Schuschniggs mit Hitler wurde Zeßner pessimistisch. Er arbeitete aber an der Vorbereitung der von Schuschnigg für den 13. März angesetzten Volksabstimmung für ein selbstständiges und unabhängiges Österreich mit. Obwohl ihm Otto Habsburg die Flucht anrät, bleibt Zeßner nach einiger Überlegung in Österreich. Schon in der Nacht vom 11. zum 12. März 1938 wusste er, dass er verhaftet werden würde und verfasste eine Art politisches Testament unter dem Titel „Bericht an die Gestapo – Mein Leben und Streben.“ „Dem Nationalsozialismus stand ich von jeher ablehnend gegenüber: 1. aus weltanschaulichen und philosophischen Gründen, 2. da ich von jeher jeden Nationalismus, welcher Art immer, für eine Quelle unablässigen Kampfes und Streites hielt und 3. da dessen politische Grundthese „Ein Volk – Ein Reich“ mir auf die Dauer mit der Souveränität, Staatlichkeit und Selbständigkeit meines angeborenen, österreichischen Vaterlandes und Heimatstaates unvereinbar schien, dem ich als Staatsbürger und eidlich verpflichtetes Staatsbeamter Treue und Hingabe schuldig war.“ Am 18. März wurde Zeßner während der Hl. Messe in der Pfarrkirche Maria Schmerzen im Kaasgraben (19. Bezirk) verhaftet. Nach sechs Wochen Gefangenschaft im Polizeigefängnis Elisabethpromenade wurde er ins Landesgericht überstellt. Als die Häftlinge anlässlich eines Besuchs von Himmler Meldung erstatten mussten, sprach Zeßner: „Hochschulprofessor Bundeskulturrat Freiherr Zeßner von Spitzenberg“ und gibt als Grund seiner Inhaftierung an: „Weil ich an leitender Stelle in der monarchistischen Bewegung Österreichs tätig bin.“ Am 15. Juli 1938 erfolgte mit dem letzten großen „Österreichertransport“ die Einweisung ins KZ Dachau. Während des Transports wurde Zeßner von einem Wachtposten derart misshandelt, dass er am 1. August 1938 an seinen inneren Verletzungen starb. Er gilt daher als einer der ersten Österreicher, die in Dachau ermordet wurden. Auf die Frage des Lagerkommandanten von Dachau, ob er wisse, warum er in das KZ gekommen sei, antwortete Zeßner: „Weil ich im Glauben an Gott und an ein christliches Österreich unter der Führung des Hauses Habsburg die einzige Rettung für die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit meines Vaterlandes sehe.“ Sein Leichnam und der des Schwiegersohnes von Bundespräsident Miklas waren die Einzigen, der im KZ Dachau Verstorbenen, deren Särge nach Österreich überführt werden durften. Zeßner-Spitzenberg ist auf dem Grinzinger Friedhof begraben. Er hinterließ eine Witwe und sechs Kinder. Ihr wurde eine Witwenpension zuerkannt. Aber erst mit 12. September 1938, also sechs Wochen nach Zeßners Tod in Dachau wurde seine formelle Entlassung ausgesprochen. (Manfried Welan)