Die Schwestern – Günther Gutknecht – eBook von Günther Gutknecht | Krimi | ISBN 9783946482895

Die Schwestern – Günther Gutknecht – eBook

Krimi

von Günther Gutknecht
Buchcover Die Schwestern – Günther Gutknecht – eBook | Günther Gutknecht | EAN 9783946482895 | ISBN 3-946482-89-9 | ISBN 978-3-946482-89-5

Die Schwestern – Günther Gutknecht – eBook

Krimi

von Günther Gutknecht

Kommissar Tim Fahrian geht es nicht gut. Seine Frau ist psychisch krank und macht ihm das Leben zur Hölle. Er will sie nicht verlassen, weil er sich ihr verpflichtet fühlt. Als er im Zuge von Ermittlungen auf einen Verein stößt, der Ehemännern bei Eheproblemen zu helfen verspricht, stellt er sich dort vor. Nach seinem Besuch bei diesem Verein erhält er die Nachricht, dass seine Frau tödlich verunglückt ist. Ein Dreivierteljahr später fährt Fahrian mit seiner Kollegin Margret Mohr durch die Schweiz. Nun aber reihen sich Begegnungen und Ereignisse aneinander, deren Zufälligkeit und tragische Dramatik ihm ebenso absonderlich wie geheimnisvoll erscheinen …

Leseprobe:

Azurblau – jeder nannte es azurblau. Der strahlend blaue Himmel gibt dem Meer die Farbe – himmelblau. Ein unhaltbares Klischee. Das Blau war viel dunkler als die Farbe des Himmels und von solcher Intensität, dass er stehen geblieben war, um dieses Blau in sich aufzunehmen, aufzusaugen, um es nie mehr vergessen zu können. So stand er minutenlang, ehe er sich besann und den steinigen Hang hinunterlief, dem Blau entgegen. Aber das zog sich hin. Er glaubte sich dem Meer viel näher, als er es tatsächlich war. Nach mehr als einer halben Stunde hatte er erst den steinigen Hang hinter sich gelassen, die Strecke, die er noch zurücklegen musste, würde mindestens ebenso lange dauern. So ging er weiter. Die Sonne glühte auf seinen Haaren, doch unverdrossen beschleunigte er seinen Schritt. Nun, auf Augenhöhe mit dem Blau, veränderte sich das Farbspektakel. Das Blau verlor sich in einem flirrenden Geglitzer auf der Oberfläche des Meeres, die fortwährend in Bewegung zu sein schien und sich so ständig veränderte. Erst nahe des Horizontes fand er das zuvor noch nie gesehene Blau wieder. Schließlich erreichte er den Strand. Er stapfte über unzählige kleine Steine, bis er das Wasser endlich erreicht hatte. Er watete ein kleines Stück hinein. Das Wasser um ihn herum war hier nicht mehr blau. Es erschien ihm bald weiß, bald braun und dann wieder grün, aber nicht blau. Das atemberaubende Blau zeigte sich ihm erst wieder, als er den Blick hob. 10 Erschöpft ließ er sich auf die Knie fallen. So verharrte er lange, während die sanfte Dünung das Wasser bis über seine Hüfte ansteigen und dann wieder zurückfließen ließ. Begleitet wurden diese rhythmischen Bewegungen von einem feinen Rauschen und Gurgeln, das anund abschwoll, das hin und wieder gänzlich gegen die ansonsten gleichbleibende Rhythmik in ein Klatschen überging, wobei ihm unzählige Wassertropfen gleichsam einer Dusche ins Gesicht schossen und kühle, feuchte Flecken auf seinem Hemd hinterließen. In dem Augenblick, als sich das Wasser gerade wieder einmal zurückzog, verdunkelte sich die Wasserfläche vor ihm etwas, und er drehte sich rasch um. Er erkannte eine weibliche Gestalt mit wehenden, langen, roten Haaren, und er erhob sich augenblicklich. Die Gestalt lächelte. Sie trug ein weißes Gewand, das bis in das Wasser reichte. »Wer bist du?«, frage er. Die Weißgewandete lächelte bei dieser Frage noch mehr, streckte die Hand nach ihm aus und sagte: »Komm.« Er ließ sich bedenkenlos von ihr führen. Da begann die Weißgewandete zu singen. Sie sang ohne Worte, und die melismatischen Figuren ihres Gesangs drangen in seine Seele und ergriffen Besitz von ihm. So erreichten sie bald einen Pinienhain. Die Fremde beendete ihren Gesang, und die beiden setzten sich in den Schatten der Bäume. »Wer bist du?«, fragte er erneut. Sie saßen sich gegen­ über, und sie ergriff mit ihren Händen die seinen und sagte: »Ich bin Leukosia.« »Leukosia? Das klingt griechisch. Leukosia? Es gibt einen Mythos über Leukosia, genannt die Weiße.« 11 »Ich bin Leukosia«, fing die Weißgewandete wieder zu sprechen an, und jetzt sah er, dass ihr weißes Gewand durchscheinend war und dass sie nichts darunter trug. »Ich bin Leukosia, die Weiße«, und jetzt erst gewahrte er ihre Augen, grüne Augen, geheimnisvolle und undurchdringliche Augen. Da bereute er, dass er mitgegangen war, mit ihr – diesen Weg, zu diesem Pinienhain, wo sie jetzt saßen. Und er begriff, was er, was jedermann wusste, dass es Wege gibt, die unumkehrbar sind, und schlimmer noch, die Handlungen, die Geschehnisse sind es. Selbst wenn er alleine den Weg dahin zurückginge, wo er hergekommen war, den Weg mit Leukosia war er dennoch gegangen – unumkehrbar. »Du hast mich gesucht, und du hast mich gefunden«, sagte Leukosia und umschlang ihn. Fahrian erwachte. Er brauchte etwa eine Minute, um sich zurechtzufinden. Es war noch dunkel im Zimmer, und er sah auf den Wecker: halb vier. Neben sich hörte er das gleichmäßig sanfte Atmen von Anna. Er betrachtete ihre Silhouette, die sich im Dunkeln abzeichnete. Sie lag auf dem Bauch, einen Arm hatte sie unter das Kopfkissen geschoben. So schlief sie immer. So schlief sie zumindest immer, wenn sie friedlich schlief, wenn sie mit sich und der Welt im Reinen war. Das war selten genug der Fall. Er richtete sich auf und schob sein Kopfkissen hinter seinen Rücken. Er war verwirrt, weil er wusste, dass er geträumt hatte, schlecht geträumt hatte, wie so oft in letzter Zeit. Das hatte vor sechs oder sieben Jahren begonnen, dann eine Zeit lang aufgehört, sodass er 12 glaubte, es wäre vorbei. Dann kamen sie wieder, diese Träume, so wie diese Nacht. Er bemühte sich, das Geträumte ins Bewusstsein zu holen, doch mehr als eine weiße Gestalt am Strand eines tiefblauen Meeres kam ihm nicht in den Sinn. So war das immer, und er fragte sich, warum er glaubte, schlecht geträumt zu haben. Er konnte sich ganz selten an die Träume erinnern. Meist blieben ihm nur einzelne Bilder, so wie in dieser Nacht. Er schüttelte den Kopf und schaute nach rechts, wo Anna leise ein- und ausatmete, ganz leise, kaum hörbar. Er schaute sie lange an, und er wünschte sich, die NACHT hätte nie begonnen. Er spürte einen kühlen Luftzug und bemerkte erst jetzt, dass sein Kopf glühte und sein Haar verschwitzt war. Er bewegte sich vorsichtig aus dem Bett und ging ins Bad, ohne Licht zu machen. Am Waschbecken ließ er eine Weile kaltes Wasser laufen. Dann hielt er die Hände in den dünnen Wasserstrahl, um das Wasser aufzufangen. Er kühlte damit sein Gesicht. Das wiederholte er mehrere Male, bis er das Gefühl bekam, dass sein Kopf zu glühen aufgehört hatte. Er trocknete sein Gesicht ab, auch seine Haare, so gut es ging und schlich dann zurück in sein Bett. Er blieb aufrecht im Bett sitzen, mit dem Kissen im Rücken. Er schaute Richtung Fenster, das weit offen stand. Von der Straße unten war kaum etwas zu hören. Das war nicht verwunderlich um diese Zeit. Er sah wieder nach Anna, und strich ihr vorsichtig über das Haar.