Sie kam, sah und liebte von Rachel Gibson | Roman | ISBN 9783442467181

Sie kam, sah und liebte

Roman

von Rachel Gibson, aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Hartmann
Buchcover Sie kam, sah und liebte | Rachel Gibson | EAN 9783442467181 | ISBN 3-442-46718-7 | ISBN 978-3-442-46718-1

Sie kam, sah und liebte

Roman

von Rachel Gibson, aus dem Englischen übersetzt von Elisabeth Hartmann

Auszug

PROLOG DAS LEBEN DER HONEY PIE
Von allen verräucherten Bars in Seattle musste er ausgerechnet die Lockere Schraube aufsuchen, die Kaschemme, in der ich fünf Nächte in der Woche arbeite, Bier zapfe und an Rauch ersticke. Eine schwarze Haarlocke fiel ihm lässig in die Stirn, als er ein Päckchen Camels und ein Zippo auf den Tresen legte. 'Ein Henry’s, bitte', sagte er mit einer Stimme so rau wie Cordsamt, 'und leg einen Zahn zu, Baby. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.' Ich stand schon immer auf dunkle Typen mit schlechten Manieren. Ein Blick und ich wusste, dieser Mann ist so dunkel und so schlimm wie ein Gewittersturm. 'Flasche oder vom Fass?', fragte ich. Er zündete sich eine Zigarette an und sah mich durch eine Rauchwolke hindurch an. Seine himmelblauen Augen waren randvoll mit Sünde, als er den Blick auf mein Top senkte. Angesichts meiner 75er Körbchengröße zog er wohlgefällig einen Mundwinkel hoch. 'Flasche', antwortete er. Ich holte ein Henry’s aus dem Kühlschrank, öffnete die Flasche und schob sie über den Tresen. 'Drei fünfzig.' Er ergriff die Flasche mit seiner großen Hand und hob sie an die Lippen, und ohne mich aus den Augen zu lassen, trank er ein paar tiefe Züge. Schaum stieg im Flaschenhals auf, als er sie absetzte, und er leckte einen Tropfen Bier von seiner Unterlippe. Ich spürte es in den Kniekehlen. 'Wie heißt du?', fragte er, griff in die Gesäßtasche seiner abgetragenen Jeans und zückte seine Brieftasche. 'Honey', antwortete ich. 'Honey Pie.' Er zog auch den anderen Mundwinkel hoch und reichte mir einen Fünfer. 'Bist du Stripperin?' Das höre ich ziemlich oft. 'Kommt darauf an.' 'Worauf?' Ich händigte ihm das Rückgeld aus und strich dabei mit den Fingern über seine warme Handfläche. Ein Schaudern kitzelte den Puls an meinem Handgelenk, und ich lächelte. Ich ließ den Blick an seinen kräftigen Armen und seiner Brust hinauf zu seinen Schultern wandern. Wer mich kennt, weiß auch, dass ich mich in Bezug auf Männer nur an sehr wenige Regeln halte. Ich mag sie groß und schlecht, und sie müssen saubere Zähne und Hände haben. Das ist schon beinahe alles. Oh, ja, und ich bevorzuge eine schmutzige Fantasie, wenngleich die nicht unbedingt Voraussetzung ist, denn meine eigene reicht für zwei. Immer schon. Selbst als Kind hat sich in meinem Kopf alles um Sex gedreht. Während die Barbie-Puppen der anderen Mädchen Schule spielten, spielte meine Barbie Doktor. Und zwar so, dass Dr. Barbie Kens Gemächt untersuchte, um ihn dann in ein schweißnasses Koma zu versetzen. Jetzt, im Alter von achtundzwanzig, während andere Frauen Golf spielen oder töpfern, sind Männer mein Hobby, und ich sammle sie wie billige Elvis-Souvenirs. Als ich in die sexy blauen Augen von Mr. Unmanierlich blickte, beschloss ich unter Berücksichtung meines rasenden Pulses und des Pochens zwischen meinen Schenkeln, vielleicht auch ihn in meine Sammlung aufzunehmen. Vielleicht würde ich ihn mit zu mir nach Hause nehmen. Oder ich nahm ihn auf dem Rücksitz meines Wagens oder in einer Kabine der Damentoilette. 'Was du dir so vorstellst', antwortete ich schließlich, verschränkte die Arme auf dem Tresen und beugte mich vor, um ihm den Anblick meiner perfekten Brüste zu gewähren. Er hob den Blick aus meinem Dekolleté, und seine Augen waren heiß und hungrig. Dann klappte er seine Brieftasche auf und zeigte mir seine Dienstmarke. 'Ich suche Eddie Cordova. Ich habe gehört, dass du ihn kennst.' Persönliches Pech. Ein Bulle. 'Ja, ich kenne Eddie.' Ich war einmal mit ihm ausgegangen, wenn man das, was wir getrieben haben, so umschreiben möchte. Als ich Eddie das letzte Mal sah, lag er in der Toilette bei Jimmy Woo im Koma. Ich musste auf sein Handgelenk treten, damit er endlich meinen Knöchel losließ. 'Weißt du, wo ich ihn finden kann?' Eddie war ein drittklassiger Dieb, und schlimmer noch, im Bett war er miserabel, und ich hatte nicht die Spur eines schlechten Gewissens, als ich sagte: 'Kann sein.' Ja, vielleicht würde ich diesem Typen helfen, und so, wie er mich ansah, war klar, dass er mehr wollte, als …
Das Telefon neben Jane Alcotts Computer klingelte und lenkte ihre Aufmerksamkeit vom Bildschirm und von der neuesten Episode aus dem Leben der Honey Pie ab. 'Verdammt', fluchte sie. Sie schob die Finger unter ihre Brillengläser und rieb sich die müden Augen. Zwischen den Fingern hindurch spähte sie auf die Nummer auf dem Display und hob ab. 'Jane', begann der Chefredakteur der Seattle Times, Leonard Callaway, ohne ein Wort der Begrüßung. 'Virgil Duffy redet heute Abend mit den Trainern und dem Geschäftsführer. Du hast den Job jetzt offiziell.' Virgil Duffys Unternehmen war Mitglied der Fortune 500, und ihm gehörte das Hockeyteam der Seattle Chinooks. 'Wann fange ich an?', fragte Jane und erhob sich. Sie griff nach ihrem Kaffee und verschüttete etwas auf ihren alten Flanellpyjama, als sie den Becher an die Lippen hob. 'Am Ersten.' Am ersten Januar. Dann blieben ihr nur noch zwei Wochen für die Vorbereitung. Vor zwei Tagen war Leonard mit der Frage an sie herangetreten, ob sie Lust hätte, den Sportreporter Chris Evans, der sich der Behandlung eines Non-Hodgkin-Lymphoms unterzog, zu vertreten. Chris’ Prognose war gut, aber für die Zeit seiner Abwesenheit brauchte die Zeitung jemanden, der über das Hockeyteam der Seattle Chinooks berichtete. Jane hatte sich nie träumen lassen, dass sie dieser Jemand sein würde. Unter anderem schrieb sie Artikel für die Seattle Times und war bekannt für ihre monatliche Kolumne Als Singlefrau in der Stadt. Von Hockey hatte sie nicht die geringste Ahnung. 'Am Zweiten gehst du mit ihnen auf Tour', fuhr Leonard fort. 'Virgil will die Einzelheiten noch mit den Trainern absprechen, und am Montag vor der Abreise stellt er dich dann dem Team vor.' Als man ihr in der vergangenen Woche den Job angeboten hatte, war sie erschrocken und ziemlich verdutzt gewesen. Mr. Duffy würde doch sicher verlangen, dass ein anderer Sportreporter über die Spiele berichtete. Doch wie sich herausstellte, war das Angebot die Idee des Besitzers selbst gewesen. 'Wie finden die Trainer das denn?' Sie stellte den Becher neben einem mit Post-it-Zetteln in verschiedenen Farben gespickten Terminplaner auf dem Schreibtisch ab. 'Das ist relativ unwichtig. Seit John Kowalsky und Hugh Miner sich zur Ruhe gesetzt haben, hat die Arena kein nennenswertes Publikum mehr gesehen. Duffy muss diesen Spitzentorwart bezahlen, den er letztes Jahr eingekauft hat. Virgil ist ein glühender Hockeyfan, aber in erster Linie ist er Geschäftsmann. Er tut, was er kann, um die Fans auf die Tribüne zu holen. Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass er auf dich verfallen ist. Er will mehr Frauen zu den Spielen locken.' Leonard Callaway sagte jedoch nichts darüber, dass Duffy glaubte, sie würde locker-flockigen Frauenkram schreiben. Was Jane nicht störte; immerhin half dieser Frauenkram ihr, ihre Rechnungen zu bezahlen, und war außerdem hochgradig beliebt bei den Leserinnen der Seattle Times. Aber Frauenkram reichte nicht für sämtliche Rechnungen. Nicht einmal annähernd. Die meisten bezahlte sie mithilfe von Pornos. Und die Pornoserie Das Leben der Honey Pie, die sie für die Zeitschrift Him schrieb, war hochgradig beliebt bei Männern. Während Leonard über Duffy und sein Hockeyteam berichtete, griff Jane nach einem Kuli und kritzelte auf einen pinkfarbenen Zettel: Bücher über Hockey kaufen. Sie riss das Zettelchen vom Block, schlug eine Seite im Terminplaner um und klebte es unter einigen anderen ein. '… und du darfst nie vergessen, dass du es mit Hockeyspielern zu tun hast. Weißt du, die sind manchmal furchtbar abergläubisch. Wenn die Chinooks anfangen, Spiele zu verlieren, geben sie dir die Schuld und jagen dich zum Teufel.' Prima. Ihr Job war abhängig von abergläubischen Machos. Sie riss eine alte Notiz mit der Aufschrift 'Termin Honey' aus dem Planer und warf sie in den Papierkorb. Nach ein paar Gesprächsminuten legte sie den Hörer auf und griff nach ihrem Kaffeebecher. Wie die meisten Einwohner von Seattle kannte auch sie die Namen und sogar ein paar Gesichter von Hockeyspielern. Die Saison war lang, und beinahe jeden Abend wurde Hockey in den King-5-Nachrichten erwähnt, aber wirklich kennen gelernt hatte sie bisher nur einen von den Chinooks, den Torhüter, den Leonard erwähnt hatte, Luc Martineau. Sie war dem Mann mit dem Dreiunddreißig-Millionen-Dollar-Vertrag kurz nach seinem Wechsel zu den Chinooks im letzten Sommer auf einer Party des Presseclubs vorgestellt worden. Wie der Inbegriff kraftstrotzender Gesundheit stand er in der Mitte des Raums, ein König, der Hof hielt. Er war kleiner, als Jane ihn sich vorgestellt hatte. Etwa einsachtzig, aber Muskeln pur. Dunkelblondes Haar wuchs ihm über die Ohren und in den Hemdkragen, leicht zerzaust und wie mit den Fingern gekämmt. Er hatte eine kleine, weiße Narbe auf dem linken Wangenknochen und eine weitere am Kinn. Sie schmälerten allerdings nicht den ungeheuren Eindruck, den er machte. Sie ließen ihn vielmehr so gefährlich erscheinen, dass wohl keine einzige Frau im Raum sich nicht fragte, wie gefährlich er wirklich werden konnte. Zum unauffälligen anthrazitfarbenen Anzug trug er eine rote Seidenkrawatte. Das Handgelenk zierte eine goldene Rolex, und an seiner Seite klebte wie ein Saugnapf eine verblühte Blondine. Der Mann legte eindeutig Wert auf Accessoires. Jane und der Torhüter hatten Begrüßungsfloskeln und einen Handschlag ausgetauscht. Der Blick seiner blauen Augen hatte sie kaum gestreift, bevor er mit seiner Blondine weiterging. In weniger als einer Sekunde fand sie sich gewogen und für zu leicht befunden. Doch daran war sie gewöhnt. Männer wie Luc beachteten Frauen wie Jane gewöhnlich nicht. Kaum größer als einssechzig, dunkelbraunes Haar, grüne Augen und A-Körbchen. Solche Männer blieben nicht stehen, um zu hören, ob sie vielleicht etwas Interessantes zu sagen hatte. Falls die übrigen Chinooks sie genauso rasch abtaten wie Luc Martineau, standen ihr ein paar beschwerliche Monate bevor, aber die Gelegenheit, mit dem Team von Spiel zu Spiel zu reisen, war zu gut, als dass sie darauf hätte verzichten mögen. Sie würde ihre Artikel über den Hockeysport aus dem Blickwinkel einer Frau verfassen. Sie würde natürlich über die Höhepunkte des Spiels berichten, aber ihr Hauptaugenmerk wollte sie auf das lenken, was im Umkleideraum geschah. Nicht auf Penisgröße und sexuelle Vorlieben– das war ihr gleichgültig. Sie wollte in Erfahrung bringen, ob Frauen auch im einundzwanzigsten Jahrhundert noch diskriminiert wurden. Jane nahm den Platz vor ihrem Laptop wieder ein und widmete sich wieder der Honey-Pie-Episode, die sie morgen abliefern müsste, wenn sie noch im Februar erscheinen sollte. Während viele Männer ihre Singlefrau-Kolumne für einen Schmachtfetzen hielten und nicht zugaben, dass sie sie lasen, fanden doch viele von ebendiesen Männern an Janes Honey-Pie-Serie großen Gefallen. Niemand außer Eddie Goldman, der Chefredakteur der Zeitschrift, und Caroline Mason, ihre beste Freundin seit der dritten Klasse, wusste, dass sie diese lukrativen monatlichen Artikel schrieb. Und so sollte es auch bleiben. Honey war Janes Alter Ego. Umwerfend. Hemmungslos. Der Traum eines jeden Mannes. Eine Hedonistin, die Männer in ganz Seattle in ein verschwitztes Koma versetzte, ausgelaugt und der Sprache beraubt, was sie aber nicht daran hinderte, um mehr zu betteln. Honey hatte einen riesigen Fan-Club, und auch im Internet waren ihr ein halbes Dutzend Fan-Sites gewidmet. Einige waren traurig, andere witzig. Auf einer dieser Websites wurde spekuliert, dass der Autor von Honey Pie in Wahrheit ein Mann sei. Dieses Gerücht gefiel Jane am besten. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie die letzten Zeilen las, die sie vor Leonards Anruf geschrieben hatte. Dann machte sie sich wieder an ihre Arbeit – Männer zum Betteln zu bringen.
1 Die Rasur: Einführung der Anfänger
Der Umkleideraum hallte wider von Blödeleien, als Luc 'Lucky' Martineau seine Montur anlegte. Die meisten seiner Teamkameraden scharten sich um Daniel Holstrom, den Neuling aus Schweden, und boten ihm zwei verschiedene Möglichkeiten der Initiation an. Daniel konnte sich entweder von den Jungs einen Irokesen rasieren lassen, oder er musste das gesamte Team zum Essen einladen. Da Neulingsgelage zwischen zehn- und zwölftausend Dollar kosteten, vermutete Luc, dass der junge Verteidiger wohl eine Zeit lang wie ein Punker herumlaufen würde. Daniel suchte mit großen, blauen Augen den Raum nach einem Hinweis darauf ab, dass die Jungs ihn hochnahmen. Er fand keinen. Alle waren einmal Anfänger gewesen, und jeder hatte irgendwelche Schikanen über sich ergehen lassen müssen. In Lucs Anfängersaison waren öfter mal die Schnürsenkel seiner Schlittschuhe verschwunden, und oft genug waren die Laken in seinem Hotelzimmer gekürzt worden. Luc ergriff seinen Schläger und machte sich auf den Weg zum Tunnel. Er kam an ein paar Jungs vorüber, die ihre Schläger mit Schweißgeräten bearbeiteten. Kurz vor dem Tunnel standen Coach Larry Nystrom und Geschäftsführer Clark Gamache und sprachen mit einer kleinen, ganz in Schwarz gekleideten Frau. Die Männer hatten die Arme vor der Brust verschränkt und blickten finster auf die Frau, die auf sie einredete. Ihr dunkles Haar war am Hinterkopf mit einem dieser komischen Gummiteile zusammengefasst, die auch seine Schwester benutzte. Luc nahm kaum Notiz von ihr und hatte sie bereits vergessen, als er zum Trainieren aufs Eis glitt. Er horchte auf das erfrischende Sch-sch, das er nach stundenlangem Schleifen der Kufen freudig erwartet hatte. Durch das Gitter seiner Maske streifte kühle Luft seine Wangen und füllte seine Lungen, während er verschiedene Aufwärmübungen absolvierte. Wie alle Torhüter war er zwar Mitglied des Teams, trotzdem durch die typische Einsamkeit seines Jobs ein Außenseiter. Für Männer wie Luc gab es niemanden, hinter dem sie sich verstecken konnten. Wenn er einen Puck durchgehen ließ, blinkten die Alarmzeichen wie riesige in Neon geschriebene Versager-Zeichen, und es bedurfte immer wieder aller Entschlossenheit und großen Muts, sich für ein neues Spiel zwischen die Pfosten zu stellen. Ein Torhüter musste ein Mann sein, der ehrgeizig und arrogant genug war, sich selbst für unbesiegbar zu halten. Der Torhüter-Coach, Don Boclair, schob einen Behälter voller Pucks aufs Eis, während Luc das gleiche Ritual wie seit elf Jahren absolvierte, sei es vor einem Spiel oder zum Training. Er lief dreimal im Uhrzeigersinn um das Tor herum und einmal in der Gegenrichtung. Er nahm seinen Platz zwischen den Pfosten ein und haute mit seinem Schläger links und rechts dagegen. Dann bekreuzigte er sich wie ein Priester und blickte Don, der an der blauen Linie stand, fest in die Augen. In der folgenden halben Stunde schlitterte der Coach um ihn herum, schoss wie ein Scharfschütze auf alle sieben Löcher und feuerte vom Punkt aus. Luc war zufrieden. Zufrieden mit dem Spiel, zufrieden mit seiner körperlichen Kondition. Inzwischen war er einigermaßen schmerzfrei und nahm keine Tabletten, die stärker waren als Advil. Er erlebte die beste Saison seiner Karriere, und jetzt, da es aufs Finale der Sportvereinigung zuging, war er mit seinen zweiunddreißig Jahren in Höchstform. Sein Berufsleben hätte nicht besser aussehen können. Schade nur, dass sein Privatleben schwer zu wünschen übrig ließ. Der Torhüter-Coach feuerte einen Puck ins obere Drittel, und Luc fing ihn mit einem dumpfen 'Pock' im Handschuh. Durch die dicke Polsterung hindurch brannte das halbe Pfund vulkanisierten Gummis in seiner Handfläche. Er ließ sich auf die Knie fallen, als der nächste Puck sein Fünfer-Loch bedrohte und gegen seine Beinschützer knallte. Er spürte den vertrauten, stechenden Schmerz in den Sehnen und Bändern, aber es war nichts, was er nicht hätte verkraften können. Nichts, was er nicht verkraftet hätte, und nichts, von dem er je laut zugegeben hätte, dass er es überhaupt spürte. Manch einer hatte ihn schon abgeschrieben. Einen Strich unter seine Karriere gezogen. Vor zwei Jahren, als er noch für die Red Wings spielte, hatte er sich beide Knie kaputtgemacht. Nach mehreren Operationen, zahllosen Stunden Krankengymnastik, einer Stippvisite in der Betty-Ford-Stiftung, um die Abhängigkeit von Schmerzmitteln loszuwerden, und einem Wechsel zu den Seattle Chinooks war Luc wieder da und spielte besser denn je. In dieser Saison musste er etwas beweisen. Sich selbst. Denen, die ihn abgeschrieben hatten. Er hatte die Eigenschaften wiedererlangt, die ihn immer zu einem der Besten gemacht hatten. Luc hatte einen unheimlichen Puckverstand und konnte einen Spielverlauf geradezu voraussehen. Und wenn er die Gefahr nicht mit einer flinken Parade abwehren konnte, hatte er immer noch rohe Gewalt und einen gefährlichen Haken in Reserve. Nach dem Training zog Luc Shorts und ein T-Shirt an und ging zum Übungsraum. Er strampelte sich eine Dreiviertelstunde auf dem Trainingsfahrrad ab, bevor er zu den Gewichten wechselte. Anderthalb Stunden lang trainierte er Arm-, Brust- und Bauchmuskeln. Die Muskeln an Beinen und Rücken brannten, und der Schweiß tropfte ihm von den Schläfen, während er die Schmerzen wegatmete. Er duschte ausgiebig, schlang ein Handtuch um seine Hüften und ging zum Umkleideraum. Die anderen Jungs waren schon dort, lümmelten auf Stühlen und Bänken und lauschten auf das, was Gamache von sich gab. Virgil Duffy stand ebenfalls mitten im Raum und redete über Kartenverkäufe. Kartenverkäufe waren nicht Lucs Angelegenheit. Er hatte Tore zu halten und Spiele zu gewinnen. Bisher machte er seinen Job gut. Luc lehnte sich mit einer bloßen Schulter an den Türrahmen. Er verschränkte die Arme vor der Brust, und sein Blick fiel auf die kleine Frau, die er schon vor Trainingsbeginn gesehen hatte. Sie stand neben Duffy, und Luc hatte Muße, sie eingehender zu betrachten. Sie war eine von diesen naturbelassenen Frauen, die keine Spur von Make-up tragen. Die beiden Striche ihrer Augenbrauen waren die einzige Farbe in ihrem blassen Gesicht.