Venedig und das Wasser von Piero Bevilacqua | Ein Gleichnis für unseren Planeten | ISBN 9783593359588

Venedig und das Wasser

Ein Gleichnis für unseren Planeten

von Piero Bevilacqua, Vorwort von Massimo Cacciari, aus dem Italienischen übersetzt von Petra Kaiser
Buchcover Venedig und das Wasser | Piero Bevilacqua | EAN 9783593359588 | ISBN 3-593-35958-8 | ISBN 978-3-593-35958-8

Venedig und das Wasser

Ein Gleichnis für unseren Planeten

von Piero Bevilacqua, Vorwort von Massimo Cacciari, aus dem Italienischen übersetzt von Petra Kaiser

Auszug

Strategische Antworten, planetarische Gefahren
Wie hat sich nun die Gemeinde Venedig in jüngster Zeit verhalten, was haben einheimische Führungsschicht und Nationalregierung unternommen, um die natürlichen und anthropogenen Verfallsprozesse aufzuhalten und sich gegen neue drohende Gefahren zu wappnen? Welche Pläne gibt es zur „Rettung Venedigs“, und was wurde bereits unternommen?
Die Antwort ist, wie könnte es anders sein, enttäuschend. In neuerer Zeit hat man ganze Jahrzehnte verstreichen lassen, ohne zur Erhaltung und zum Schutz der Lagune aktiv zu werden. Niemand hat sich darum gekümmert, denn Venedig und die Lagune waren für die verschiedenen Regierungen schlicht kein Problem. Wie wir bereits erwähnt haben, waren auch die ökonomischen, sozialen und territorialen Maßnahmen im letzten Jahrhundert, ob öffentliche oder private, keineswegs dazu angetan, das lagunare Ökosystem zu schützen. Dabei ging es ausschließlich um wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung entsprechender territorialer Voraussetzungen, mehr nicht. Derartigen materiellen Interessen war das empfindliche Gleichgewicht der lagunaren Umwelt nicht nur gleichgültig, sondern oft standen sie in krassem Widerspruch dazu. Auf diese Weise wurden selbst turnusmäßig durchgeführte Arbeiten wie die Instandhaltung der Kanäle nach und nach vernachlässigt und schließlich ganz vergessen. Erst in den letzten Jahren wurden die planerischen, gesetzgeberischen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen, um in einigen, für das Überleben der Stadt strukturell wichtigen Bereichen wirksam eingreifen zu können.
Nach dem Verlust der Vorherrschaft und politischen Größe hatte Venedig in jüngerer Vergangenheit zunehmend seine Handlungsfähigkeit eingebüßt und selbst auf seinem eigenen Territorium keine nennenswerte Initiative mehr zustande gebracht. Bei der Gründung des italienischen Nationalstaates erhielt die Stadt den Status einer Gemeinde des Königreiches wie jede andere auch; besondere Aufmerksamkeit wurde ihr nicht mehr zuteil, und von Großprojekten, wie sie das venezianische Patriziat während der Jahrhunderte seiner Glanzzeit realisiert hatte, konnte keine Rede mehr sein. Im Jahr 1907 unternahm man einen verspäteten Versuch, den ruhmreichen Magistrato alle Acque wiederzubeleben, um die Befehlsgewalt zu zentralisieren und den Maßnahmen zur Sanierung der Lagune Kontinuität zu verleihen. Da es der wiedergeborenen Institution jedoch an Handlungsspielraum und Autonomie fehlte, um ihre Ziele verwirklichen zu können, blieb dieser Versuch erfolglos. Die Stadt mußte sich bescheiden und in die Belanglosigkeit einer lokalen Führungsschicht schicken, die keinen Deut besser war als in anderen italienischen Rathäusern und sich auch von der nationalen Politikerklasse, die ebenfalls kein Ausbund an planerischer Weitsicht und historischer oder kultureller Sensibilität war, kaum unterschied.
Allerdings galten bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein auch ganz andere Themen als vordringlich. Probleme und Gefahren, die die Stadt bedrohten, waren kaum bekannt, und die Sensibilität für Umweltfragen und Kulturgüter war damals in Italien wie anderswo noch kaum entwickelt oder auf wenige Vorreiter beschränkt.
Die Behauptung, die Einstellung zu Venedig habe sich erst nach der Überschwemmung vom 4. November 1966 grundlegend geändert, ist sicher nicht übertrieben. Erst nachdem die Öffentlichkeit durch dieses Ereignis aufgerüttelt worden war, entwickelte sich in Venedig selbst und in ganz Italien allmählich ein breites und ernsthaftes Interesse für die Geschicke der Stadt, das in den letzten Jahrzehnten noch zugenommen hat.