Zeugen der Zeit von Michail Ossorgin | ISBN 9783847703822

Zeugen der Zeit

von Michail Ossorgin, aus dem Russischen übersetzt von Ursula Keller und Natalja Sharandak
Mitwirkende
Autor / AutorinMichail Ossorgin
Übersetzt vonUrsula Keller
Übersetzt vonNatalja Sharandak
Buchcover Zeugen der Zeit | Michail Ossorgin | EAN 9783847703822 | ISBN 3-8477-0382-X | ISBN 978-3-8477-0382-2
Innenansicht 1
Neue Zürcher Zeitung: „Ossorgin bewältigt sein episches Material mit geschickten Kunstgriffen, die er auch in seinen Reportagen und Erzählungen anwendet: Er wechselt immer wieder zwischen distanzierter Schilderung und szenischer Darstellung.“

Neues Deutschland: Michail Ossorgin, der hier eine Art distanziertes und sich distanzierendes Zeugnis ablegt (er selbst gehörte in jungen Jahren zu den Sozialrevolutionären), schreibt eine Geschichtschronik. Alle wichtigen Gestalten haben reale Vorbilder, die Ereignisse haben tatsächlich stattgefunden. Er hat alles in eine ungeheuer spannende Romanform gegossen.

SR2 Kulturradio - BücherLese: Mit analytischer Schärfe blickt der Autor auf die oft zufälligen Wege der jungen Menschen in den Terror – sie sind verzweifelt auf der Suche nach Zugehörigkeit und Anerkennung, auch um den Preis des eigenen Lebens. Die Brisanz seiner Beobachtungen liegt auf der Hand. Sie machen die „Zeugen der Zeit“ zu einem bestürzend aktuellen Stück Literatur."
St. Galler Tagblatt: „Im Epos «Eine Strasse in Moskau» blickt der hervorragende Stilist aus dem französischen Exil auf Moskau zurück, in dem die «alte Knechtschaft» im Zarenreich gegen jene der Bolschewisten eingetauscht wurde. In «Zeugen der Zeit» erfahren wir, wie eine russische Terroristenzelle sich organisiert, was sie denkt, wie sie handelt – ein Gruppenporträt von seltener Genauigkeit.“
Der Tagesspiegel: „Ossorgin vereint in seinen mal gewaltigen und mitreißenden, dann wieder ganz zarten, kontemplativen Beschreibungen eine Verbundenheit mit der Natur, in der noch der kleinste Teil dem Ganzen nicht fehlen darf, mit einer Zerrissenheit und Entfremdung, die ein ewig idealistisches Streben nach dem Vergangenen oder verloren Geglaubten nach sich zieht.“

Neue Zürcher Zeitung am Sonntag: 2015 brachte die Andere Bibliothek den grossartigen Revolutionsroman 'Eine Strasse in Moskau' von Michail Ossorgin (1878–1942) heraus, trefflich übersetzt und kommentiert von Ursula Keller. (…) Auch wenn die beiden Romane nicht ganz an das Meisterwerk 'Eine Strasse in Moskau' heranreichen – die Bestseller der Saison überragen sie allemal.

Deutschlandradio Kultur: „Es gelingt ihm tatsächlich wie in einem Brennglas die politische, gesellschaftliche Situation der Menschen individuell zu machen, unmittelbar an die Figuren zu führen. In einer Montagetechnik wie im Film, mit Schlaglichtern, Perspektivwechseln, einem Mosaik an Szenen.“

Zeugen der Zeit

von Michail Ossorgin, aus dem Russischen übersetzt von Ursula Keller und Natalja Sharandak
Mitwirkende
Autor / AutorinMichail Ossorgin
Übersetzt vonUrsula Keller
Übersetzt vonNatalja Sharandak

Der Roman beginnt mit einem Verbrechen: der riesengroße Kutscher Pachom, zerzaust, übellaunig und verkatert, tritt mit seinen riesengroßen Stiefeln den Hundewelpen Muschka tot. Die Tochter des Hauses, Natascha, ist untröstlich und verliert ihren Glauben an das Gute: „Wenn jemand Muschka töten kann, dann bedeutet das – man kann alles!“ Natascha wächst heran, schließt das Gymnasium ab, besucht Vorlesungen in Philosophie – besonders begeistert sie sich für den deutschen Modephilosophen jener Zeit, Friedrich Nietzsche – und verliert ihren Glauben an Gott. „Natascha Kalymowa wuchs in den Tagen des russischen Heldentums auf, als dieses ein erstes Mal aufflammte. Aber jener Frühling war allzu kurz, allzu rasch kam der Frost zurück, und gerade die jungen Pflanzen waren es, die den größten Schaden nahmen.“ Die junge Frau aus gutem Hause träumt schon bald davon, nicht nur darüber zu streiten, wie die Welt eine bessere werden könne, sondern eine jener Helden zu werden, die die eingefrorenen Verhältnisse im russischen Zarenreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Gewalt zu verändern suchen. Die Bewunderung für den entschlossenen Aljoscha, den Anführer einer Terrorgruppe, dem seine Kampfgefährten den Decknamen „Hirsch“ gegeben haben, tut das Übrige, Natascha verlässt ihr Heim und ihre Familie, um sich jenen anzuschließen, die „von den einen Verbrecher, von den anderen Heilige genannt wurden“, und wird Revolutionärin und fanatische Terroristin. Gemeinsam mit Aljoscha zeichnet sie für zahlreiche Attentate in Petersburg verantwortlich. Nach dem Bombenanschlag auf das Wohnhaus des Premierministers werden Aljoscha und Natascha zum Tode verurteilt. Nataschas Urteil wird in lebenslange Haft umgewandelt, und nach einiger Zeit gelingt es ihr, aus dem Gefängnis und schließlich auch aus Russland zu fliehen. Auf ihrer Flucht erkennt sie, wie sehr sie sich „in den Netzen der Geschichte verstrickt hat“, und dass es lediglich die romantische Vorstellung vom Heldentum war, für die sie sich begeistert hat. Ihr Weg ins Exil führt Natascha um die halbe Welt und wird sinnbildlich zu einem Weg der Läuterung – über Sibirien, die Mongolei und die Wüste Gobi, die sie als einzige Frau im Gefolge einer Handelskarawane durchquert. Das Buch vom Ende erzählt vom Leben der geläuterten Terroristin in der Emigration, zunächst in Paris, wo sie das Programm der russischen Bildungsreisenden jener Zeit absolviert, doch das Lächeln der Mona Lisa rührt sie nicht an. Dann reist sie weiter nach Italien und findet dort Zuflucht in einem Palazzo, den ein wohlhabender Genueser Kaufmann russischen politischen Flüchtlingen zur Verfügung gestellt hat. Sie lernt Iwan kennen, die beiden bekommen zwei Töchter, denen Natascha hingebungsvolle Mutter ist. Ihre Träume von der Rückkehr nach Russland erfüllen sich nicht. Bei der Pflege ihrer kranken Tochter infiziert sie sich mit der damals in Europa grassierenden Spanischen Grippe und stirbt. Auf ihrem Lebensweg begegnet Natascha immer wieder einem „ewigen Pilger“, dem „Zeugen der Zeit“. Der Pope Vater Jakow, der seine Pfarre verloren hat, wird auf seiner Pilgerschaft zum Beobachter und Chronisten, der seine Eindrücke von den Geschehnissen in Russland in linierten Schulheften notiert. Im Gegensatz zu Natascha, die die Zeitläufte durch Terror aktiv zu verändern sucht, bleibt Jakow zwar stets unbeteiligter Zeuge, ist aber gleichwohl aus seiner Position der Menschlichkeit heraus in manchen Situationen ihre Rettung. Ossorgin vergegenwärtigt aus autobiografischer Sicht das Revolutionsgeschehen und den Terrorismus in Russland vor und während der ersten Revolution 1905 und das Leben der russischen politischen Flüchtlinge in der Emigration.