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F – Flucht
von Jörn EtzoldVielleicht ist es anders, als Aristoteles glaubt, und »das Wichtigste von allem« in der Tragödie ist gar nicht ihre Handlung, sondern vielmehr ihre Bühne: Gejagte und Flüchtende halten auf ihr inne und eine Verhandlung wird nachgespielt, nach der in vielen Fällen ihre Integration in eine neue Ordnung möglich wird. Eine solche Verhandlung, zu der auch Klagen und Drohungen gehören, zeigt Aischylos in den »Schutzflehenden«. Kann die Bühne auch heute noch ein solcher Ort des Innehaltens und der Verhandlung sein? Anders als die Antike kennt die Moderne keine heiligen Orte, an denen Gott die Flüchtenden schützt. Unsere Erde ist restlos unter National- und Territorialstaaten aufgeteilt. Welche Orte können Flüchtende hier aufsuchen? Haben sie Rechte oder sind sie, wie Hannah Arendt meint, als diejenigen, die aus der Menschheit herausfallen, vollkommen »rechtlos«? Und: Wie kann das Theater diese politischen Räume darstellen und kritisieren?