Hooking Up von Tom Wolfe | Neuigkeiten aus dem Weltdorf | ISBN 9783896671592

Hooking Up

Neuigkeiten aus dem Weltdorf

von Tom Wolfe, aus dem Englischen übersetzt von Benjamin Schwarz
Buchcover Hooking Up | Tom Wolfe | EAN 9783896671592 | ISBN 3-89667-159-6 | ISBN 978-3-89667-159-2

Hooking Up

Neuigkeiten aus dem Weltdorf

von Tom Wolfe, aus dem Englischen übersetzt von Benjamin Schwarz
„Es ist noch nicht so lange her, da stellten im sexuellen Umgang von Jungen und Mädchen harmlose Umarmungen und Küsse die erste Stufe dar. Die zweite Stufe bestand aus Zungenküssen plus Fummeln. Die dritte Stufe war Oralsex. Auf der vierten Stufe ging es , zur Sache`. Das war gestern. Heute, im Jahr 2000, können wir die Umarmungen und Küsse schon mal vergessen. Mit derartigen Harmlosigkeiten halten sich die Mädels und Jungs gar nicht erst auf. Heutzutage geht das anders: erste Stufe Zungenkuss, landläufig Zäpfchen-Hockey genannt, plus Fummeln. Zweite Stufe Oralsex. Auf der dritten Stufe geht es , zur Sache‘. Und die vierte Stufe ist erreicht, wenn man seinem Partner namentlich vorgestellt wird.“Wie selten aber amerikanische Jugendliche heutzutage den Namens ihres Partners erfahren – wohlgemerkt, nachdem sie Sex mit ihm hatten –, das erstaunt selbst einen so hartgesottenen Beobachter alles Zeitgenössischen wie Tom Wolfe. In den Mechanismen des „Hooking Up“, also des menschlichen Balzverhaltens zwischen Kennenlernen und ehelichem Alltag, hat sich offenbar einiges geändert seit Wolfes eigener Jugend, wie sein amüsanter (und teilweise schockierender) Streifzug durch die amerikanische Sexualmoral von heute zeigt. Der Essay „Hooking Up“ ist nicht ohne Grund Auftakt und Titelgeber dieser Sammlung der besten Prosastücke, die Tom Wolfe in den letzten Jahren geschrieben hat. Denn es ist sein Interesse am menschlichen Miteinander und den gewaltigen Umwälzungen des digitalens Zeitalters, das für ihn als Journalisten – und das war er viele Jahre, bevor er zum gefeierten Romanautor wurde – stets im Vordergrund stand und steht. So beschäftigen sich seine Essays mit den Auswirkungen der neuesten Ergebnisse der Gehirnforschung auf das menschliche (Selbst)-Bewusstsein („Sorry, But Your Soul Just Died“) und setzen sich kritisch mit den Thesen des Neodarwinismus auseinander („Digibabble, Fairy Dust and the Human Anthill“); sie beleuchten die eher resignative Stimmung, die sich am Endedes 20. Jahrhunderts, das oft als das „amerikanische Jahrhundert“ bezeichnet wurde, breitgemacht hat („In the Land of Rococo Marxists“), und zeigen – in „The Great Relearning“ – die Auswirkungen eines rückwärts gewandten Denkens auf Kunst und Politik. Hervorragend recherchiert und brillant geschrieben sind auch zwei Essays, die sich mit Männern beschäftigen, welche sich jenseits des Mainstreams bewegten und – zumindest im ersten Fall – nachhaltig die Geschichte beeinflussten: Robert Noyce, der Erfinder des Halbleiters und Gründer von Silicon Valley, und Frédérick Hart, der zwar in Amerika populäre, weltweit aber zu Unrecht verkannte amerikanische Bildhauer, dem Wolfe eine große Renaissance voraussagt. Die Glanzstücke dieser Sammlung sind freilich diejenigen, die sich – auf stilistisch ganz unterschiedliche Weise – mit der Welt auseinandersetzen, die seit Jahrzehnten Wolfes Welt ist: die Welt der Medien. Die Novelle „Ambush at Fort Bragg“, der einzige fiktive Text der Sammlung, ist ein echtes Kabinettstückchen, in dem Wolfe alle Register seines satirischen Könnens zieht. Er schildert darin eine Begebenheit in der Nähe eines Army-Stützpunkts in North Carolina, wo ein junger Soldat unter ungeklärten Umständen zu Tode kommt. Der Verdacht fällt auf drei Kameraden des Ermordeten, die diesen wegen seiner Homosexualität schon lange auf dem Kieker hatten. Ein Fernsehteam will nicht nur bei der Aufklärung des Falls helfen, sondern aus ihm ein Medienereignis machen. Tatsächlich gelingt es dem ehrgeizigen Produzenten (und seiner nicht minder ehrgeizigen Anchorwoman) die Verdächtigen zu einem Quasi-Geständnis vor die Kamera zu bringen. Doch das Blatt wendet sich – plötzlich wird der Sender unfreiwillig zur Plattform reaktionären Gedankenguts und gerät mächtig ins Schwimmen ... Eine gelungene Satire auf die Quotengeilheit von Fernsehanstalten, die nicht nur in den USA vor nichts zurückschrecken, sich aber durchaus manchmal selbst ein Bein stellen. Typische Wolfesche Attacken sind auch die beiden Essays „Tiny Mummies“ und „Lost in the Whichy Thickets“, begleitet von pikanten Vor- und Nachworten, die eine Fehde zwischen den amerikanischen Kult-Magazinen „New York“ und „New Yorker“ schildern, genauer gesagt den satirischen Angriff Wolfes (damals seines Zeichens Edelfeder von „New York“) auf das dröge gewordene Konkurrenzmagazin sowie dessen Retourkutsche: eine Fehde, aus der Wolfe als haushoher Sieger hervorging. Nicht nur für die zahllosen Fans von Tom Wolfe als Romanautor – diejenigen, die ganze elf Jahre auf seinen letzten Roman, „Ein ganzer Kerl“, warten mussten – ist schließlich „My Three Stooges“ ein Hochgenuss: Wolfes ebenso elegante wie bitterböse Antwort auf die Kritik seiner drei „großen“ alten Schriftstellerkollegen John Updike, Norman Mailer und John Irving an seinem letzten Roman. Zwar habe jeder der drei ein anderes Argument gehabt (Updike: „Bestenfalls Unterhaltungsliteratur!“; Mailer: „Ein Mega-Bestseller – igitt!“; Irving: „Der bringt ja keinen einzigen beschissenen Satz zu Stande!“), doch die Hauptstoßrichtung sei in allen drei Fällen sein Realismus (oder auch Naturalismus) gewesen. Hier setzt Wolfe zum Gegenschlag an. Wenn er seine Aufgabe als Schriftsteller darin sehe, die Welt und die Menschen darin so realistisch abzubilden wie möglich und dafür auch jahrelange (sic!) Recherchen auf sich zu nehmen, stehe er nicht nur voll in der Tradition seiner großen Vorbilder Zola, Dickens oder auch Steinbeck, sondern habe auch das Publikum auf seiner Seite. Denn was dem amerikanischen Roman des 20. und 21. Jahrhunderts (auch den Werken seiner Kontrahenten, wie er in kleinen spitzen Seitenhieben erwähnt) fehle, das sei der Bezug zur Realität: „Der amerikanische Roman liegt im Sterben, aber er stirbt an Magersucht. Was er braucht, ist NAHRUNG. Er braucht Schriftsteller mit einem Riesenappetit und einem unstillbaren Durst auf AMERIKA , wie es heute ist. Die Revolution des 21. Jahrhunderts, wenn die Kunst denn überleben soll, wird einenNamen tragen, an den man kein Suffix anhängen muss. Diese Revolution wird Leben heißen, Realität, und sie wird dort sein, wo sie hingehört: am Pulsschlag jener Kreatur, die Mensch heißt.“