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Abgrenzung und Klassifizierung veränderlich fester Gesteine unter ingenieurgeologischen Aspekten
von Marion NickmannAuszug
Obwohl veränderlich feste Gesteine bei vielen Bauprojekten im Untergrund anstehen, zeigt die Praxis, dass es nur unzureichende Untersuchungs- und Klassifizierungsmethoden für diese Art von Gesteinen gibt. Die vorliegende Arbeit versucht, die veränderliche Festigkeit von Gesteinen detailliert zu erfassen, zu klassifizieren sowie die Ursachen der Veränderlichkeit zu ermitteln. Hierbei konzentriert sich diese Studie auf die Untersuchung frischer, unverwitterter Gesteine, wie sie bei tiefen Baumaßnahmen i. d. R. anstehen. Um deren Verhalten bei der Exposition prognostizieren zu können, wird besonderes Augenmerk auf den kurz- bis mittelfristigen Zerfallsprozess gelegt, wie er für ein Bauprojekt von Relevanz ist, während die langfristige Verwitterung nur randlich behandelt werden kann. Das weitgehend unverwitterte Material konnte in 7 Lokalitäten (Tunnelvortriebe, Steinbrüche) im Gebirgsverband erfasst und direkt im Anstehenden oder aus dem Haufwerk beprobt werden. Insgesamt wurden 37 Gesteine unterschiedlicher Zusammensetzung untersucht, die ein breites Spektrum von Karbonaten, Mergelsteinen, Tonschluffsteinen, Sandsteinen und deren Mischtypen sowie bindigen Lockergesteinen abdecken.Die charakteristischen Eigenschaften veränderlich fester Gesteine sind in hohem Maß von den Prozessen der Diagenese, Verwitterung und Zersetzung abhängig, durch die die Zusammensetzung und der Anteil der verschiedenen Kornbindungsarten innerhalb des Gesteins gesteuert werden. Zerfallsmechanismus und -geschwindigkeit hängen somit direkt mit den Gefügeeigenschaften (Porenraum, Kornbindungsfestigkeit, Zerbrechungsgrad, Quellfähigkeit) eines Gesteins zusammen.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit sind:
Erstellung einer neuen Klassifizierung der Veränderlichkeit. In der vorliegenden Arbeit wird eine neue Methodik zur Erfassung der Veränderlichkeit entwickelt, die neben den offensichtlich stark veränderlichen Gesteinen auch solche mit geringer Zerfallsanfälligkeit identifiziert, die sich erst nach mehrmaligen oder sogar häufigen Feuchtigkeitswechseln zeigt. Als Standardversuch zur Klassifizierung der Veränderlichkeit wird ein modifizierter Trocknungs-Befeuchtungs-Versuch, kombiniert mit einem Kristallisationsversuch, definiert. Mit seiner Hilfe können alle Gesteine (Festgesteine und zahlreiche Lockergesteine) bezüglich ihrer Veränderlichkeit klassifiziert werden:
– Besonders überkonsolidierte bindige Lockergesteine zeigen sowohl unter natürlichen Bedingungen als auch im Trocknungs-Befeuchtungs-Versuch ein ähnliches Zerfallsverhalten wie veränderlich feste Festgesteine, sind somit mittels dieser Methodik nicht abzugrenzen. Ist für eine Baumaßnahme, bei der das Gestein ausschließlich durch Feuchtewechsel und nicht durch zusätzliche Belastungen (z. B. Sprengungen, Rotation beim Bohren) beansprucht wird (z. B. in Böschungen), ausschließlich das kurzfristige Verhalten von Interesse, kann dieses auch für Lockergesteine mittels des modifizierten Wasserlagerungsversuches ermittelt werden, sobald sich zusammenhängende Proben entnehmen lassen. Eine Grenzziehung Lockergestein-Festgestein ist für diese Fragestellung nicht erforderlich.
– Aus dem modifizierten Wasserlagerungsversuch wird der Veränderlichkeitsindex IV als Parameter der Veränderlichkeit definiert, der neben der rein beschreibenden Klassifizierung eine quantitative Möglichkeit zur Abgrenzung der verschiedenen Veränderlichkeitsklassen bietet.
– Die Hauptgliederung der Veränderlichkeit, die für unverwitterte Gesteine entwickelt wurde, kann auch auf alle angewitterten und geklüfteten Gesteine ausgedehnt werden. Diese werden durch die Veränderlichkeitsklassen VK* beschrieben.
Ursachen der Veränderlichkeit. Maßgebliche Parameter für die Veränderlichkeit eines Gesteins sind die Zusammensetzung (Korngrößenverteilung, Zement), die Einaxiale Druckfestigkeit, das Quellpotential, das Porenvolumen bzw. der nat. Wassergehalt, wobei sich für einzelne Gesteinsgruppen einer oder mehrere Einzelparameter als bestimmend erweisen. Für die Gesamtheit aller Gesteine führt allerdings erst ihre Kombination mit entsprechender Gewichtung zu einem neu definierten Sammelparameter, der Gefügefestigkeit G, die in hohem Maße die Veränderlichkeit beschreiben kann. Diese Gefügefestigkeit stellt einen Leitparameter für das frische Gestein dar, der es ermöglicht, für jedes Gestein die zerfallsrelevanten Gesteinseigenschaften zu charakterisieren und das Verhalten bei seiner Freilegung zu prognostizieren. Eine semiquantitative Gewichtung der Parameter ermöglicht die Aussage, welches Stadium der Gesteinsbildung bei den jeweiligen Gesteinen für die Ausbildung der Veränderlichkeit maßgeblich ist, so dass durch eine Analyse dieser Bildungsprozesse eine Abschätzung der Veränderlichkeit bereits im Vorfeld eines Projektes möglich ist.
Mittels der Gefügefestigkeit scheint auch eine Grenzziehung zwischen veränderlich festen Gesteinen und dauerhaft festen Gesteinen einerseits und Lockergesteinen andererseits möglich. Auf Basis der vorliegenden Daten werden eine L-Linie (Lockergesteinsgrenze) und eine D-Linie (Dauerhaftigkeitsgrenze) definiert. Diese Abgrenzung ist z. B. für die Vorerkundung und für die Prognose des Gesteinsverhaltens unter speziellen Belastungsarten (z. B. Gebirgslösung mittels Bohr- & Sprengvortrieb oder TBM) zweckmäßig.
Erklärung und Abschätzung spezifischer Eigenschaften. Die Erkenntnisse zu Mechanismen und Ursachen des Zerfalls ermöglichen ein besseres Verständnis einiger spezifischer Eigenschaften veränderlich fester Gesteine:
– Das Verwitterungsverhalten ist in starkem Maß von der Veränderlichkeit abhängig und wird getrennt nach den Gesteinsgruppen Karbonate/Mergelsteine und Tonschluffsteine diskutiert. Anhand mehrerer näher betrachteter Verwitterungsprofile wird ein Verwitterungsschema erstellt, das den Verwitterungsverlauf für Gesteine verschiedener Veränderlichkeitsklassen semiquantitativ abschätzbar macht.
– Eine – ebenfalls weitgehend qualitative – Abschätzung der Rutschanfälligkeit der verschiedenen veränderlich festen Gesteine erfolgt unter Berücksichtigung des Zusammenspiels von Veränderlichkeit und Verwitterung der betroffenen Gesteine, die beide die Scherfestigkeitsparameter Reibungswinkel und Kohäsion beeinflussen. Dadurch können die am stärksten rutschgefährdeten Horizonte eines Projektgebietes besser identifiziert und u. U. einer quantitativen Untersuchung unterzogen werden.
Den Abschluss der Arbeit bilden Überlegungen zur Anwendung der neuen Methodik und Klassifikation in der Baupraxis. Anhand einer Korrelation der Laborergebnisse mit dem Zerfallverhalten unter natürlichen Bedingungen kann mittels der neuen Klassifizierung das kurz- und mittelfristige Verhalten der bei einer Baumaßnahme angetroffenen veränderlich festen Gesteine semiquantitativ prognostiziert werden. Dadurch ist eine Beurteilung ihrer Reaktion bei der Freilegung (Lösbarkeit, Transportfähigkeit, kurzfristige Böschungsstabilität) sowie ihrer Eignung als Baumaterial (langfristige Standsicherheit, Resistenz in Dammschüttungen und im Planum) möglich. Die Empfehlungen für ein Untersuchungsprogramm, das die Veränderlichkeit der anstehenden Gesteine besser erfasst als bisher, enthalten sowohl einen Vorschlag der zu diesem Zweck durchzuführenden Untersuchungen als auch Erkenntnisse zur Versuchsmethodik und Anforderungen an die Probenbeschaffenheit selbst, die im Verlauf der Arbeit offensichtlich wurden.