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Homo Gibber
Roman ohne Worte - A Novel without Words
von Vladimir Kazanevsky, Vorwort von Thomas BucheliEin Roman ohne Worte. Ist das bloss ein verspielter Widerspruch oder ein gewagter Schritt in faszinierendes, unbekanntes Terrain? Ist es ein Schritt in die Zukunft? Oder ist es ein Schritt zurück zu den verschwommenen Ursprüngen der menschlichen Kommunikation? Vladimir Kazanevsky, international ausgezeichneter Altmeister der Karikatur, stellt mit Homo Gibber eine Literaturform vor, die es bisher in dieser Form nicht gab. Die hier präsentierten Bilder sind weder Karikaturen im üblichen Sinn noch Cartoons oder Comics. Ohne Text lassen sie sich auch nicht als Illustrationen bezeichnen. Kaum jemand würde diese Bilder auf Anhieb als Roman einstufen. Doch genau das stellen sie dar: Homo Gibber ist ein Roman, allerdings in reiner Bilderform. In der einzigartigen, geballten Ausdruckssprache von Vladimir Kazanevsky enthält jede einzelne Zeichnung die Aussagekraft einer Vielzahl von geschriebenen Worten. So erzählt uns der Autor in dreissig Kapiteln konzentriert seine einzigartige Sicht unserer Entwicklungsgeschichte. Beginnend in der nicht in Worte fassbaren Mystik des menschlichen Ursprungs, führt er uns über die ältere und neuere Geschichte, durch Szenen des Mittelalters und der Kriege bis in die unmittelbare Gegenwart. Schonungslos, doch stets mit einer gesunden Portion Humor, hält er uns dabei vor Augen, wie er uns sieht: Als bucklige Wesen, die es nicht wagen, ihr höchstes menschliches Potenzial auszuschöpfen. Als gekrümmte Geschöpfe, die sich dennoch überaus wichtig nehmen. Homo Gibber - der bucklige Mensch. Wer will es ihm verargen? Kann man unsere Rasse angesichts der Tatsachen, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind, der fahrlässigen Verpestung unserer Luft, der Kriege, des Neids, der zahlreichen Absurditäten des menschlichen Verhaltens und der notorischen Unzufriedenheit wirklich guten Gewissens mit dem so schmeichelhaften Titel Homo Sapiens - wissender Mensch - beehren? Was in der Welt wissen wir denn schon. Doch Vladimir Kazanevsky klagt nicht an. Er lamentiert nicht. Er spottet nicht. Seine Bilder werten nicht ab. Auch drücken sie keine Verachtung aus. Zu leicht wäre das doch! Nein. Er hält uns - ganz gemäss der Rolle eines lebenserfahrenen Hofnarres - einfach seinen romanhaften Spiegel vor die Nase. Jeder darf darin entdecken, was er will. Und wie sieht der Autor die weitere Entwicklung? Vladimir Kazanevsky ist weder Miesmacher noch Weltuntergangsprediger. Der Meister der menschlichen Beobachtung und der spitzen Feder sieht die Zukunft visionär in der Ankunft des echten Menschen, der sich ganz unzeitgemäss würdig abhebt vom gebückten Homo Gibber. Nicht hochmütig, sondern stolz im besten Sinne des Wortes sieht er den zukünftigen Menschen. Damit möchte er uns dazu ermutigen, uns auf unsere besten menschlichen Qualitäten zu konzentrieren. Soll sich doch Dilbert und sein ganzer defätistischer Zynismus vor der lebensbejahenden Kraft dieses wirklichen Menschen - vor uns? - in Staub auflösen! In der westlichen Welt gibt es heute eine untergründige geistige Strömung, die dazu neigt, Zynismus, Opportunismus und Unterwürfigkeit als Orientierungshilfen zum Überleben in einer verrückt gewordenen Welt zu sehen. Trotz der genussvollen Ästhetik der Zeichnungen von Vladimir Kazanevsky wird hingegen kaum jemand dem Ideal eines Homo Gibber nachstreben wollen. Das ist beabsichtigt. Und das ist gut so.