Auszug
Einleitung
Das Automobil ist ein Konsumgut, welches wie kein anderes zu einer öffentlichen Inszenierung
beiträgt. Gerade in Deutschland ist das Automobil hoch emotional besetzt
und dient häufig als Ausdruck der „Persönlichkeit“.
Die Unternehmen reagieren entsprechend und versuchen, mit dem Fahrzeug Erlebniswelten
zu verkaufen und bestimmte Lebensstile darzustellen. Lebensstile und das Erleben
mit dem Fahrzeug, so ist zu vermuten, hängen eng zusammen.
Aus meiner täglichen Arbeit in der Automobilbranche entstand daher der Impuls, den
Lebensstil in einem erweiterten Kontext zu untersuchen. Der Lebensstil stellt für die
Anbieter vor allem eine Möglichkeit zur Identifikation von Zielgruppen dar, um der
Unsicherheit über die Ansprache der „richtigen“ Interessenten oder Kunden entgegenzutreten.
Somit ist der Lebensstil ein Instrument für eine bessere Prognose des geplanten
Absatzes der Produkte.
Fahrzeuge für einen bestimmten Lebensstil zu positionieren, ist dabei nicht neu. Bereits
für den 1968 in Serie gegangenen Sportwagen Opel GT verwendet die Marke einen für
die damalige Zeit provokanten TV-Spot:
Zu sehen ist ein etwas älterer Herr mit Schirmmütze, der sich vergeblich bemüht, in den
bewunderten Sportwagen einzusteigen, was ihm letztendlich nicht gelingt.
Der Sprecher kommentiert dies am Ende mit den Worten: „Tja, der Opel GT passt wohl
nicht so ganz. Na ja, das macht nichts, wir sind sicher, wir haben auch für Sie einen passenden
Wagen. Opel.“ Es wird suggeriert, dieser Wagen passt nicht zu deinem Lebensstil.
Auf ironische Weise stellt der Konzern einen durchaus typischen Käufer eines
Opels der damaligen Modelle Kadett oder Rekord dar. Den dahinter vermuteten
Lebensstil möchte man jedoch keinesfalls mit diesem neuen imageträchtigen Fahrzeug
in Verbindung sehen.
Was hat sich in den letzten 40 Jahren verändert? Wie bedeutsam ist das Lebensstilkonstrukt
heute im Automobilmarkt? Ein Fallbeispiel bei Peugeot Deutschland, einem Importeur
französischer Fahrzeuge in Deutschland, soll hierzu wichtige Erkenntnisse liefern.
Die Automobilbranche nutzt das Instrument des Lebensstils als Mittel der Marktsegmentierung
– der Ursprung der Lebensstiltheorie liegt jedoch in der Sozialforschung,
die das Thema seit 25 Jahren kontrovers diskutiert. Leben wir statt in einer Klassenoder
Schichtgesellschaft heute in einer Lebensstilgesellschaft oder wie Schulze 1992
formuliert in einer „Erlebnis-Gesellschaft“? Grundgedanke ist, dass sozioökonomische
Kriterien zur Kategorisierung der heutigen modernen Gesellschaft an Bedeutung verlieren.
Es gibt unzweifelhaft nach wie vor Unterschiede bei Armut und Benachteiligung, je
nachdem ob jemand Arbeiter, Angestellter oder Unternehmer ist (Richter 2005,
S. 10 f.). Immer stärker treten diese „klassischen“ Kriterien der Sozialstrukturanalyse in
den Hintergrund. Stattdessen kategorisieren wir uns oder andere nach unserem/ihrem
Freizeit- und Konsumverhalten. Insbesondere geht es um die Demonstration des Konsums.
Diverse wissenschaftliche Modelle und Theorien entstanden, die den Lebensstil als Instrument
zur Darstellung von gesellschaftlichen Veränderungen thematisieren. In den
Unternehmen, so ist zu anzunehmen, fand das Konzept der Lebensstile insbesondere
Zugang über die Modelle, die von Marktforschungsinstituten oder Agenturen entwickelt
wurden. Die Ökonomie nutzt diese Werkzeuge zur effizienteren Vermarktung der Produkte.
Die Soziologie hingegen hinterfragt die Prozesse der Unternehmen und analysiert
mögliche Rückwirkungen auf die Gesellschaft. Dies bezieht sich exemplarisch auf die
Erlebniswelten, die mit den Produkten assoziiert werden, und die in Form einer spezifischen
Kommunikation, vor allem mit den Mitteln der Werbung, transportiert werden.
Mit dieser Arbeit soll anhand von Modellen des Lebensstils eine Brücke gebaut werden
zwischen den soziologischen Theorien auf der einen Seite und der Umsetzung in Wirtschaftprozessen
zur Segmentierung eines Marktes auf der anderen. Drei Teile umfasst
die Arbeit.
Teil I beinhaltet die Darstellung des aktuellen Stands der Sozialforschung zum Thema
Lebensstil mit den wichtigsten Theorien und den für ein Unternehmen heute relevanten
Modellen der Institute und Agenturen. Es folgt die Analyse der Rolle des Lebensstils
zur Zielgruppenauswahl und die Zusammenhänge zwischen der Marke und dem Lebensstil.
Besonders die mögliche Bedeutung der Marke für Nachfrager als Ausdruck der
eigenen Lebensführung wird thematisiert. Auch das Thema der Kommunikation bestimmter
Lebenswelten über eine Marke wird diskutiert.
In einer Fallstudie (Teil II) werden die Bedeutung des Lebensstils in der Automobilindustrie
sowie gezielt die Entscheidungsabläufe bei Peugeot Deutschland untersucht. Der
aktuelle Stellenwert des Ansatzes des Lebensstils aus Sicht der Anbieter steht im Mittelpunkt.
Exemplarisch für die Automobilbranche erfolgt eine ausführliche Erörterung der
externen Rahmenbedingungen sowie der internen Abläufe im Zuge der Segmentierung
des Marktes durch ein Unternehmen. Hierzu gehört auch ein Blick auf die Produktpalette
der Hersteller speziell auf die neuen mehrdimensionalen Angebotsvarianten, wie
beispielsweise die SUV1 in der Kompaktklasse. Damit geht ein Bedeutungsverlust der
traditionellen eindimensionalen Marktsegmente vornehmlich der Mittel- oder Oberklasse
einher. Kann dies als Indiz für die zunehmende Bedeutung des Lebensstils interpretiert
werden?
Ebenfalls diskutiert werden unterschiedliche Vorgehensweisen und Arbeitstechniken in
Deutschland und Frankreich vor dem Hintergrund der kulturellen Unterschiede im Management
in den beiden Ländern.
Der umfangreiche empirische Teil II umfasst zudem die Entwicklung eines Instrumentariums
zur Segmentierung des Marktes, welches mehrdimensional angelegt und gezielt
automobilspezifische Merkmale berücksichtigt. Anhand eines Praxisbeispiels im Bereich
Media wird dieses Werkzeug später auf seine Effizienz geprüft.
Im Teil III schließlich wird der Ansatz der Lebensstile aus Sicht eines Automobilimporteurs
zusammenfassend bewertet. Zwei „Beobachtungsebenen“ können bei der Frage
nach der Bedeutung des Lebensstils differenziert werden.
Die erste Ebene beinhaltet die Befragungen bei Peugeot Deutschland sowie eine Inhaltsanalyse
von Informationsmaterialien. Die tatsächliche Situation im Unternehmen,
zu der auch die Ausprägung von Lebensstilen bei der Kundenstruktur zu zählen ist, wird
konkretisiert.
Auf einer zweiten Ebene werden die grundsätzlichen Möglichkeiten des Lebensstils als
ein Instrument zur Auswahl von Zielgruppen erörtert. Dabei steht die ökonomische Bedeutung
für einen Automobilimporteur im Fokus.