Vivace von Henner Kotte | Ein Roman aus dem Milieu | ISBN 9783942025102

Vivace

Ein Roman aus dem Milieu

von Henner Kotte
Buchcover Vivace | Henner Kotte | EAN 9783942025102 | ISBN 3-942025-10-8 | ISBN 978-3-942025-10-2
Kriminell geht es zu, wenn die Leipziger Internet Zeitung am 30. Juni um 20 Uhr zur letzten Literatur-Talkrunde vor den Sommerferien einlädt in den „Stern des Südens“ in der Karl-Liebknecht-Straße 102. Dann ist Henner Kotte zu Gast, einer jener wenigen Leipziger Krimi-Autoren, denen die Verbrechen der lieben Mitmenschen so vertraut sind, dass sie beinah mit Genuss darüber schreiben können. Kotte bringt seinen Verleger mit, Bernd Hähne, Betreiber des Fünf Finger Ferlages. Das gehört bei den Runden im „Stern des Südens“ dazu: Es wird nicht nur gelesen. Es wird auch über Hintergründe erzählt, über das Bücher-Machen und das Bücher-Schreiben, über die Gemeinheiten des Marktes, die Schwächen der Leser und die Träume der Autoren. Auch darüber, warum einer wie der in Wolgast geborene Kotte in Leipzig seine kriminellen Stoffe gefunden hat. Wie das ist, wenn man - als einer der ersten - den MDR-Literaturpreis bekommt und trotzdem kein Verlag einen opulenten Vertrag anbietet. Was ja letztlich dazu führte, dass Kottes erstes Buch bei Bert Hähne erschien und „Natürlich tot!“ hieß. Ein Buch, das die Kritiker begeisterte. Und Türen öffnete. Auch zu anderen Leipziger Verlagen, die genauso freudig feststellen mussten: Das ist Lese-Futter. Das könnte die Spannungslüsternen reizen. Das müssten wir drucken. Was nicht hieß, das alle die Müsste in Erfüllung gehen. Denn den Ton auf dem deutschen Belletristik-Markt bestimmen die „großen“ Verlage, wenn man denn nicht besser von Verlags-Imperien spricht, die nicht nur die Sortiments-Buchhandlungen mit „heißer Ware“ zupacken, sondern auch die Linie angeben in den einschlägigen Branchen-Magazinen. Ganz zu schweigen von den Werbe-Budgets, mit denen man teuer eingekaufte „Welt-Stars“ in den Markt drückt. Jüngstes Beispiel: Die gnadenlose Vermarktung des Horror-Autors Dan Brown. Was fehlt, ist seit Jahren schon die Begleitmusik, eine unabhängige Berichterstattung in den regionalen und überregionalen Medien. Selbst „gestandene Kritiker“ lassen sich die Chance nicht entgehen, ganze Waschzettel zu referieren und das als Kritik zu verkaufen. Besserung ist nicht in Sicht. Wer dabei an den Rand gedrückt wird, sind Autoren „aus dem Abseits“, die nicht so glatt Geschliffenen. Solche wie Kotte, der mit „Abriss Leipzig“ im Festa Verlag 2005 einen kleinen Achtungserfolg erzielte. Mehr nicht. 2002 schrieb Kotte schon einen Leipziger Anti-Krimi: „Vivace“, die Geschichte eines kleinen Ganoven, erzählt aus der Ganoven-Perspektive. Die es in sich hat. Denn der Ganove denkt von sich nicht als Ganove. Das ist eher ein Trugschluss aus schlecht gemachten Fernseh-Filmen: Das Böse ist nicht böse, wenn es sich selber sieht. Es ist liebevoll, kann in Liska Kohout die große Erfüllung finden, vom Gegängel des Arbeitsamtes angeödet sein und einfach nur auf der Suche, nach ein bisschen Geld und privatem Glück. Grenzen sind da fließend. Erst recht, wenn die Kneipe und der Kumpeltreff Dreh und Angelpunkt aller Ereignisse ist. Mittendrin: Pieter das Vieh. Ein toller Hecht. Einfädler der Beschaffungsaktionen, mit denen sich die Protagonisten des Buches ab und zu ein paar Moneten verdienen. Dass sie dabei auch mal in eine Drogerie brettern, gehört dazu. Dort hat „Vivace“ seinen Ursprung. Es ist der Name eines Parfüms, jenes Parfüms, das später Liska Kohout bezaubern wird. Es ist nicht das Milieu der Braven, Rechtschaffenen, Erfolgreichen, das Kotte da zeichnet. Es ist die Welt der Hinterhöfe, der Abbruchhäuser, der gestohlenen Autos und der selbstbeschwörenden Kraftmeiereien. Das geht bei Kotte bis in den Erzählstil hinein. Ein Stil, wie ihn Helden pflegen müssen, wenn sie nach der Schlacht im Zelt mit sich alleinsind. Was bin ich toll! Und nicht nur das: Kottes Sätze sind kurz. Manchmal wie Faustschläge. Machen aus simpel vertickenden Minuten und Tagen große, bedeutungsschwere Ereignisse. Das fließt nicht, das rumpelt und poltert. Bis in die abrupten Satzenden hinein lebt da einer ein un-fassbares Leben. Eines, das sich nicht definieren lässt mit braven Arbeitszeiten, Haus, Boot, Jacht und passender Blondine dazu. Das Leben eines Irrenden, so eines Typen, wie er bei Dostojewski auftauchen könnte. Nur dass dieser hier nicht schwelgt in russischer Melancholie. Dafür hat er gar keine Zeit. Keinen Nerv, erst recht nicht, als sich die Ereignisse zu überstürzen beginnen und aus der Kette kleiner Gaunereien auf einmal so etwas wie Tragik erwächst. Wer hören will, wie der Autor derartiges liest und was er dazu verrät, der sollte sich den 30. Juni schon einmal vormerken. Auch das sei noch erwähnt: Fußball kommt in diesem Buch nicht vor.

Vivace

Ein Roman aus dem Milieu

von Henner Kotte
Es ist ein echtes Ganoven-Buch. Auch wenn es sich nicht so liest. Kriminalromane, in denen die Handlung aus Sicht der Täter beschrieben wird, gibt es schon einige. Die faszinierendsten aus der Feder von Patricia Highsmith. Und ein wenig tritt der MDR-Literaturpreisträger von 1997 in die Fußspuren der großen alten Crime-Ladie. Mit einem wichtigen Unterschied: Während ein Mr. Ripley ein durchaus gewieftes Exemplar von Mitmensch ist, ausgebufft und hoch intelligent, taucht Kottes Held ein in die Welt des Klein-Ganoventums, der Diebe und Hehler. Sein Held ist keine wirkliche Leuchte, ein armes Schwein eher, ohne richtigen Job, ohne große Aussicht, einen zu bekommen. Doch was an gloriosen Aussichten fehlt, ersetzt er durch kühne Heldentum. In seiner Sprache zumindest. Einer Sprache, die Felsen umwerfen kann, Riesen einschüchtern und Hoffnung macht auf das große Irgendwann. Eine malerische Sprache, trotz aller Knappheit. Hingebrockt, als gelte es, wie ein Western-Held mitten auf die staubige Straße zu schreiten - und dann. Das ist halt das Problem. Dann kommen die ganz gewöhnlichen Dinge des Lebens, die Liebe, die Kneipen-Freundschaft, der besoffene Vater, der Nervenkitzel beim nächsten Bruch. Und auch auf Seite 100 kein Polizist. Das vergisst man ja zuweilen, dass fast 50 Prozent aller Straftaten nie aufgeklärt werden, dass die Netzwerke der Diebe und Hehler fleißig arbeiten, während Max Mütze brav im Bett liegt. Dass auch auf Kottes Held das Unverhoffte lauert, ist nicht einmal ein Trick. Eher ein Stück ganz banales Leben. Aber wie das so ist mit dem banalen Leben: Man sollte sich nicht allzu sehr darauf verlassen.