Tschernobyl ist überall von Siglinde Bickl | die aus der Wolke kamen | ISBN 9783847639824

Tschernobyl ist überall

die aus der Wolke kamen

von Siglinde Bickl
Buchcover Tschernobyl ist überall | Siglinde Bickl | EAN 9783847639824 | ISBN 3-8476-3982-X | ISBN 978-3-8476-3982-4
Leseprobe

Tschernobyl ist überall

die aus der Wolke kamen

von Siglinde Bickl
Im Tagebuch von Manfred Laise steht:
„Das genaue Datum ist nicht bekannt. Wenn ich alles richtig gemacht habe, wird heute der 1. Februar2007 sein, doch der genaue Wochentag lässt sich nicht mehr feststellen. Wir sind nun schon acht Monate hier unten. Wie lange wird es noch dauern? Alle sind mutlos. Viele Streitereien sind an der Tagesordnung. „Hättest du uns doch verrecken lassen, du bist schuld, dass wir so leben müssen.“
„Ich verstehe euch, aber glaubt ihr wirklich, dass es mir Spaß macht, ich muss doch auch alles ertragen. Wenn ich in unsere Gesichter sehe, fahl und hohlwangig, tiefe Ringe um die Augen, nein, das ist keine Lebensqualität. Aber doch noch besser als qualvoll sterben.“ Meine Argumente, dass alle wussten was auf sie zukommt prallen ab.
Keiner ist mehr fürs Zuhören bereit. Ich bin durch ihre Anschuldigungen auch sehr dünnhäutig geworden. Die ständigen Reibereien gehen an meine Substanz, zumal wir jetzt auch einen Säugling haben.
Gestern platzte mir der Kragen und ich schrie zurück: „Also, dann geht doch, ich halte niemand. Ich fühle mich für euch verantwortlich. Aber wenn ihr es nicht anders wollt, dann geht doch in euren Tod. Werft die harte Zeit der Entbehrung hin. Wir haben das Projekt gemeinsam geplant, wo ist unsere Zusammengehörigkeit nur geblieben? Ihr habt gewusst, was euch erwartet, dass es kein Zuckerschlecken wird, war uns allen klar.
Ihr hattet jahrelang die Katastrophe von Tschernobyl vor Augen und ihr wolltet leben.“
Horst lenkte ein, „sie meinen es nicht so, es ist halt schon frustrieren ganz ohne Tageslicht, und unsere Lebensmittel reichen höchstens noch für zwei Monate. Sollten wir es abermals versuchen? Es sind ja noch drei Vögel da. Vor einem Monat brachten wir einen nach oben, da war es sicher noch zu früh.“
„Also gut, probieren wir ‚s auf neue.“
Manfred öffnete die Luke und setzte den Kanarienvogel in den Käfig. „Hoffentlich frisst er“.
Zurück zum 4. Juli 2006. Ein war ein heißer Sommertag.
Die Familie saß gemütlich beim Sonntagsbrunch als es klingelte.
Julia die Tochter öffnete die Tür und die Nachbarn Horst Heilmann mit Simone seiner Frau, ihre beiden Söhnen mit Frauen und der kleine Sebastian stürmten herein.
Fröhlich sangen sie ein Lied und ließen Manfred hochleben. Er hatte Geburtstag. Es ging lustig zu an diesem Morgen. Pläne wurden geschmiedet für den ersten gemeinsamen Sommerurlaub.
Da stand Johannes der älteste Sohn der Familie Laise auf, mit verschmitzer Miene und einem liebevollen Blick auf Natascha, verkündete er:  
„Wir werden heiraten“  
Und zu seinem Vater gewandt, Dein Geburtstagsgeschenk wächst hier drinnen, dabei umfasst er sie und legt seine Hände auf ihren Bauch.
Verschämt sieht sie zu Boden. Im Dezember werden wir Eltern.“
Das Glück strahlte aus seinen Augen. Jetzt war die Freude groß, man stieß mit Sekt auf das Brautpaar an.
Diesen Geburtstag werde ich nie vergessen“, sagte Manfred (Noch ahnte niemand, wie recht er behalten sollte.)
Die Sirene röhrt, das bekannte Zeichen für Alarm. Niemand dachte sich etwas dabei. Als sie aber nicht aufhörte, drehte Manfred das Radio an und alle erstarrten.
Der Super Gau! In Biblis war eine Brennkammer explodiert.
Manfred wusste, dass jetzt sein Platz vor Ort war.   Doch das kümmerte ihn wenig. In Tschernobyl starben alle Arbeiter, als sie helfen wollten. Habe ich so gut vorgesorgt um dann doch zu sterben?
Bin ich deshalb ein Feigling, nur weil ich mich für meine Familie entschieden habe?
Nun war es also geschehen,