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Philosophen, Geisteswissenschaftler
Widerspruch als Lebensform
Eine Kritik der Moralphilosophie im Anschluss an Wittgenstein und die kritische Theorie
von David PalmeWarum sollten wir moralisch sein? Diese Frage nach Begründung beschäftigt die Moralphilosophie seit dem Zweiten Weltkrieg wie kaum eine andere. Dabei hat sich eine Perspektive durchgesetzt, die traditionelle Begründungsmodelle zugunsten eines ethischen Pluralismus und moralischen Fortschritts aufgegeben hat. Da es keine äußeren Gründe mehr geben soll, kann nur noch das als allgemein verbindlich gelten, was sich widerspruchsfrei denken lässt. Doch was heißt hier Widerspruch? Diese Studie bringt die Sprachphilosophie Wittgensteins mit der Kritischen Theorie in Konstellation, um zu zeigen, dass die moderne Moralphilosophie an ihrem Anspruch scheitern muss. Ausgangspunkt ist das Privatsprachenargument Wittgensteins und insbesondere §125 der Philosophischen Untersuchungen, in dem er den Widerspruch als zentrales philosophisches Problem der bürgerlichen Gesellschaft beschreibt. Dabei wird klar, dass weder Widerspruchsfreiheit noch Moralbegründung der gesellschaftlichen Praxis vorangehen. Im Gegenteil, in der vermeintlichen Rationalität der modernen Moralphilosophie spiegeln sich die Widersprüche unserer Gesellschaft. Die Aufgabe der Philosophie besteht daher nicht darin, diese Widersprüche zu lösen, sondern sie durch sprachkritische Analyse offenzulegen. Indem Wittgenstein mit Marx, Adorno und Horkheimer in Dialog gebracht wird, entsteht ein neuer Zugang zur Moralphilosophie – eine Kritik, die sowohl sprachlich als auch gesellschaftlich ansetzt.