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Die Spiele gehen weiter
Profile und Perspektiven der Sportgeschichte
herausgegeben von Frank Becker und Ralf SchäferEinleitung
Frank Becker und Ralf Schäfer
Sportgeschichtliche Themen stoßen nicht nur unter wissenschaftlichen Spezialisten oder Sportliebhabern, sondern auch in einer breiteren Öffent-lichkeit auf großes Interesse. Als 2005 die Studie von Nils Havemann zur Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes in der NS-Zeit publiziert wurde , kam es zu einer von intensiver Medienberichterstattung begleiteten Debatte. 2009-2011 lösten die Carl-Diem-Biographie von Frank Becker und die Carl Diem gewidmete gesellschaftsgeschichtlich angelegte Studie von Ralf Schäfer einen regelrechten „Historikerstreit“ aus, in den auch die geschichtspolitische Debatte um die Umbenennung von nach Carl Diem benannten Straßen, Stadien und Hallen hineinwirkte. Zuletzt sorgte 2012/13 eine vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) in Auftrag gegebene Studie zur Geschichte des Dopings in der Bundesrepublik Deutschland für Furore. Die beauftragten Historiker stellten die These auf, auch in Westdeutschland habe es ein vom Staat heimlich begünstigtes „Dopingsystem“ gegeben, das in manchen Zügen den Verhältnissen in der früheren DDR ähnlich gewesen sei. Diese These führte zu hitzigen Auseinandersetzungen. Schon diese Themen zeigen, dass es im Bereich der Sportgeschichte viele strittige Sachgebiete und umstrittene Forschungsfelder gibt. Oft wir-ken auch politische, ja sogar persönliche Interessen in die Darstellung die-ser Sachgebiete hinein; nicht selten hat die Forschung zunächst Hinder-nisse aus dem Weg zu räumen, bevor sie sich unabhängig und mit den üblichen Methoden historischer Analyse an die Arbeit machen kann. In diesem Sinne will auch der vorliegende Sammelband dazu beitragen, die deutsche Sportgeschichte weiter für eine sachgerechte, kritisch-aufkläreri-sche wissenschaftliche Auseinandersetzung zu öffnen. Mit besonderem Nachdruck ist dabei auf die Rolle des deutschen Sports in der NS-Zeit hinzuweisen. Nach wie vor wird von vielen Sport-verbänden, Sportfunktionären und Sportwissenschaftlern die Auffassung vertreten, der deutsche Sport habe zwar eine NS-Verwaltungsspitze erhal-ten, sei aber ansonsten vom Nationalsozialismus kaum berührt worden - er habe sich gemäß sportlicher Eigenlogiken entwickelt. Insofern seien weder das Jahr 1933, noch das Jahr 1945 entscheidende Zäsuren gewesen. Schon im Kaiserreich und in der Weimarer Republik habe der Sport primär als modernisierender Faktor gewirkt, und dies sei auch in der NS-Zeit der Fall gewesen, bevor der Sport nach 1945 endgültig Teil des Siegeszuges einer westlich geprägten Moderne geworden sei. Dagegen steht die Auffassung, dass dieses Bild einseitig und beschö-nigend ist. Schon der Sportbetrieb des Kaiserreichs und der Weimarer Republik war nur in Teilaspekten westlich-modern, ansonsten aber auch nationalistisch und militant, in manchen Bereichen sogar völkisch und antisemitisch. Letztere Tendenzen erhielten nach 1933 großen Auftrieb, als der NS-Staat den Sport als Mittel zur „Verbesserung von Volksgesundheit und Volkskraft“ für seine „rassenhygienischen“ Ziele instrumentalisierte. Darüber hinaus spielte der Sport als Propagandamittel eine wichtige Rolle: Er sollte die Überlegenheit des „nordischen Menschen“ demonstrieren. Zudem diente er der Inszenierung der Volksgemeinschaft, realisierte ihre Prinzipien, wozu auch gehörte: Wer von der Volksgemeinschaft ausgeschlossen war, blieb auch vom Sport ausgeschlossen. Jüdische Mitglieder wurden in zahlreichen deutschen Sportvereinen unmittelbar nach der Machterteilung an die NSDAP ausgestoßen. Oftmals bedurfte es dazu gar keiner staatlichen Anweisung; die Vereine übten sich in vorauseilendem Gehorsam. Die Behandlung von „heißen Eisen“, die wissenschaftliche Erhellung von Kapiteln der deutschen Sportgeschichte, die bis zum heutigen Tag hoch umstritten sind, ist ein Anliegen des geplanten Bandes. Kombiniert werden soll es mit einem zweiten Anliegen: Hier lautet die Frage, welchen Stellenwert Themen aus dem Bereich des Sports in eher systematischer Hinsicht für die geschichtswissenschaftliche Forschung haben beziehungs-weise haben können. Was interessiert die Geschichtswissenschaft am Sport? Welche Sektoren und Sparten der historischen Forschung greifen auf dieses Themengebiet zu? Nicht die chronologische Einteilung der Ge-schichte steht nunmehr im Vordergrund - in diesem Sinne könnte man das oben Ausgeführte mit einem Interesse der NS-Forschung am Sport in Verbindung bringen -, sondern es geht um spezifische Ansätze der historischen Forschung, die in den letzten Jahren in der Fachwelt viel Aufmerksamkeit beansprucht haben. Diese Ansätze sind vor allem in der Geschichtswissenschaft, aber auch von der dem Fach Sportwissenschaft zugeordneten Sportgeschichtsschreibung zur Geltung gebracht worden. Insofern ist es ein weiteres Anliegen des geplanten Bandes, den Dialog zwischen Geschichtswissenschaft und Sportwissenschaft zu intensivieren. Unter den Autorinnen und Autoren des Bandes befinden sich daher Historiker(innen) und Sportwissenschaftler(innen). Um welche Ansätze aber handelt es sich? An erster Stelle soll das For-schungsgebiet der „symbolischen Kommunikation“ genannt werden. Menschliches Handeln erfolgt nie allein praktisch-zweckorientiert, sondern transportiert stets auch Bedeutungen; auch Handlungen besitzen in diesem Sinne den Status von Zeichen. Die gesamte Welt der Sportpraxis hat somit auch eine kommunikative Dimension; seit es den Sport gibt, wird er von unterschiedlichsten Deutungen begleitet. Viele Gesellschaften haben im Sport ein Spiegelbild ihrer sozialen Praxis gesehen, andere ein Leitbild für die Zukunft, wieder andere ein Gegenbild zur schlechten Realität, eine Sphäre mithin, in der man zumindest momenthaft, entführt in die Welt des Spiels, abweichende Erfahrungen machen darf. Je höher der Stellenwert des Sports in den Gesellschaften des 20. Jahrhunderts wurde, desto mehr drängte sich die Frage auf, wer den Sport in seinem Sinne und in seinem Interesse deutete - und ihn damit zu einem potenziell universalen „Sinnschema“ machte, das über seine Symbolhaftigkeit und Metaphorizität für immer größere Teile der Bevölkerung die Wahrnehmung einer immer größeren Zahl von Realitätsbereichen steuerte. Zweitens ist auf die „Körpergeschichte“ zu verweisen. Dieser Ansatz thematisiert die Wahrnehmung und Deutung von Körperlichkeit durch historisch handelnde Menschen. Die Geschichte der Medizin, die Ge-schichte der Sexualität und die Habitusforschung, um nur einige Beispiele zu nennen, fließen auf diesem Themenfeld zusammen - und auch die Ge-schichte des Sports ist bedeutsam, weil dieser seit dem späten 19. Jahrhun-dert entscheidend dazu beigetragen hat, die Körperlichkeit des modernen Menschen zu formen und zu definieren. Vor allem die Unterwerfung des Körpers unter ein Kontroll-, Mess- und Leistungsregime spielt hier eine überragende Rolle. Als drittes Beispiel soll die Mediengeschichte firmieren. Die kulturalistische Wende in der Geschichtswissenschaft seit den neunziger Jahren hat das Interesse auf sogenannte „Realitätskonstruktionen“ gelenkt, die maßgeblich von Medien geleistet werden. Um zu begreifen, wie in histori-schen Situationen bestimmte Deutungen der Wirklichkeit entstanden sind, verbreitet und durchgesetzt wurden, ist ein Blick auf die zeitgenössisch verfügbaren Medien unverzichtbar. Auch Sportereignisse sind in dieser Hinsicht Medienereignisse, sie werden von den Medien dargestellt, inter-pretiert und stilisiert. Wechselwirkungen zwischen Medien- und Sportgeschichte sind aber auch noch auf einer anderen Ebene wirksam: Die Ent-wicklung der Medien verdankt der Sportgeschichte wichtige Anstöße. Bei zentralen Sportereignissen des 20. Jahrhunderts sind wiederholt neue Me-dientechnologien erstmals in großem Maßstab zur Anwendung gekommen; erinnert sei an den UKW-Funk und die Fernsehübertragungen bei den Olympischen Sommerspielen von 1936 in Berlin, oder an die TV-Übertragungen via Satellit, die bei den Spielen von Mexiko-Stadt 1968 den gesamten Erdkreis erreichten. Allen drei oben genannten Themenkreisen sind einzelne Beiträge des geplanten Sammelbandes gewidmet. Hinzu kommen weitere Themen und Ansätze, die im Folgenden anhand einer kurzen Präsentation der einzelnen Aufsätze vorgestellt werden:
Sportgeschichtliche Themen stoßen nicht nur unter wissenschaftlichen Spezialisten oder Sportliebhabern, sondern auch in einer breiteren Öffent-lichkeit auf großes Interesse. Als 2005 die Studie von Nils Havemann zur Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes in der NS-Zeit publiziert wurde , kam es zu einer von intensiver Medienberichterstattung begleiteten Debatte. 2009-2011 lösten die Carl-Diem-Biographie von Frank Becker und die Carl Diem gewidmete gesellschaftsgeschichtlich angelegte Studie von Ralf Schäfer einen regelrechten „Historikerstreit“ aus, in den auch die geschichtspolitische Debatte um die Umbenennung von nach Carl Diem benannten Straßen, Stadien und Hallen hineinwirkte. Zuletzt sorgte 2012/13 eine vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) in Auftrag gegebene Studie zur Geschichte des Dopings in der Bundesrepublik Deutschland für Furore. Die beauftragten Historiker stellten die These auf, auch in Westdeutschland habe es ein vom Staat heimlich begünstigtes „Dopingsystem“ gegeben, das in manchen Zügen den Verhältnissen in der früheren DDR ähnlich gewesen sei. Diese These führte zu hitzigen Auseinandersetzungen. Schon diese Themen zeigen, dass es im Bereich der Sportgeschichte viele strittige Sachgebiete und umstrittene Forschungsfelder gibt. Oft wir-ken auch politische, ja sogar persönliche Interessen in die Darstellung die-ser Sachgebiete hinein; nicht selten hat die Forschung zunächst Hinder-nisse aus dem Weg zu räumen, bevor sie sich unabhängig und mit den üblichen Methoden historischer Analyse an die Arbeit machen kann. In diesem Sinne will auch der vorliegende Sammelband dazu beitragen, die deutsche Sportgeschichte weiter für eine sachgerechte, kritisch-aufkläreri-sche wissenschaftliche Auseinandersetzung zu öffnen. Mit besonderem Nachdruck ist dabei auf die Rolle des deutschen Sports in der NS-Zeit hinzuweisen. Nach wie vor wird von vielen Sport-verbänden, Sportfunktionären und Sportwissenschaftlern die Auffassung vertreten, der deutsche Sport habe zwar eine NS-Verwaltungsspitze erhal-ten, sei aber ansonsten vom Nationalsozialismus kaum berührt worden - er habe sich gemäß sportlicher Eigenlogiken entwickelt. Insofern seien weder das Jahr 1933, noch das Jahr 1945 entscheidende Zäsuren gewesen. Schon im Kaiserreich und in der Weimarer Republik habe der Sport primär als modernisierender Faktor gewirkt, und dies sei auch in der NS-Zeit der Fall gewesen, bevor der Sport nach 1945 endgültig Teil des Siegeszuges einer westlich geprägten Moderne geworden sei. Dagegen steht die Auffassung, dass dieses Bild einseitig und beschö-nigend ist. Schon der Sportbetrieb des Kaiserreichs und der Weimarer Republik war nur in Teilaspekten westlich-modern, ansonsten aber auch nationalistisch und militant, in manchen Bereichen sogar völkisch und antisemitisch. Letztere Tendenzen erhielten nach 1933 großen Auftrieb, als der NS-Staat den Sport als Mittel zur „Verbesserung von Volksgesundheit und Volkskraft“ für seine „rassenhygienischen“ Ziele instrumentalisierte. Darüber hinaus spielte der Sport als Propagandamittel eine wichtige Rolle: Er sollte die Überlegenheit des „nordischen Menschen“ demonstrieren. Zudem diente er der Inszenierung der Volksgemeinschaft, realisierte ihre Prinzipien, wozu auch gehörte: Wer von der Volksgemeinschaft ausgeschlossen war, blieb auch vom Sport ausgeschlossen. Jüdische Mitglieder wurden in zahlreichen deutschen Sportvereinen unmittelbar nach der Machterteilung an die NSDAP ausgestoßen. Oftmals bedurfte es dazu gar keiner staatlichen Anweisung; die Vereine übten sich in vorauseilendem Gehorsam. Die Behandlung von „heißen Eisen“, die wissenschaftliche Erhellung von Kapiteln der deutschen Sportgeschichte, die bis zum heutigen Tag hoch umstritten sind, ist ein Anliegen des geplanten Bandes. Kombiniert werden soll es mit einem zweiten Anliegen: Hier lautet die Frage, welchen Stellenwert Themen aus dem Bereich des Sports in eher systematischer Hinsicht für die geschichtswissenschaftliche Forschung haben beziehungs-weise haben können. Was interessiert die Geschichtswissenschaft am Sport? Welche Sektoren und Sparten der historischen Forschung greifen auf dieses Themengebiet zu? Nicht die chronologische Einteilung der Ge-schichte steht nunmehr im Vordergrund - in diesem Sinne könnte man das oben Ausgeführte mit einem Interesse der NS-Forschung am Sport in Verbindung bringen -, sondern es geht um spezifische Ansätze der historischen Forschung, die in den letzten Jahren in der Fachwelt viel Aufmerksamkeit beansprucht haben. Diese Ansätze sind vor allem in der Geschichtswissenschaft, aber auch von der dem Fach Sportwissenschaft zugeordneten Sportgeschichtsschreibung zur Geltung gebracht worden. Insofern ist es ein weiteres Anliegen des geplanten Bandes, den Dialog zwischen Geschichtswissenschaft und Sportwissenschaft zu intensivieren. Unter den Autorinnen und Autoren des Bandes befinden sich daher Historiker(innen) und Sportwissenschaftler(innen). Um welche Ansätze aber handelt es sich? An erster Stelle soll das For-schungsgebiet der „symbolischen Kommunikation“ genannt werden. Menschliches Handeln erfolgt nie allein praktisch-zweckorientiert, sondern transportiert stets auch Bedeutungen; auch Handlungen besitzen in diesem Sinne den Status von Zeichen. Die gesamte Welt der Sportpraxis hat somit auch eine kommunikative Dimension; seit es den Sport gibt, wird er von unterschiedlichsten Deutungen begleitet. Viele Gesellschaften haben im Sport ein Spiegelbild ihrer sozialen Praxis gesehen, andere ein Leitbild für die Zukunft, wieder andere ein Gegenbild zur schlechten Realität, eine Sphäre mithin, in der man zumindest momenthaft, entführt in die Welt des Spiels, abweichende Erfahrungen machen darf. Je höher der Stellenwert des Sports in den Gesellschaften des 20. Jahrhunderts wurde, desto mehr drängte sich die Frage auf, wer den Sport in seinem Sinne und in seinem Interesse deutete - und ihn damit zu einem potenziell universalen „Sinnschema“ machte, das über seine Symbolhaftigkeit und Metaphorizität für immer größere Teile der Bevölkerung die Wahrnehmung einer immer größeren Zahl von Realitätsbereichen steuerte. Zweitens ist auf die „Körpergeschichte“ zu verweisen. Dieser Ansatz thematisiert die Wahrnehmung und Deutung von Körperlichkeit durch historisch handelnde Menschen. Die Geschichte der Medizin, die Ge-schichte der Sexualität und die Habitusforschung, um nur einige Beispiele zu nennen, fließen auf diesem Themenfeld zusammen - und auch die Ge-schichte des Sports ist bedeutsam, weil dieser seit dem späten 19. Jahrhun-dert entscheidend dazu beigetragen hat, die Körperlichkeit des modernen Menschen zu formen und zu definieren. Vor allem die Unterwerfung des Körpers unter ein Kontroll-, Mess- und Leistungsregime spielt hier eine überragende Rolle. Als drittes Beispiel soll die Mediengeschichte firmieren. Die kulturalistische Wende in der Geschichtswissenschaft seit den neunziger Jahren hat das Interesse auf sogenannte „Realitätskonstruktionen“ gelenkt, die maßgeblich von Medien geleistet werden. Um zu begreifen, wie in histori-schen Situationen bestimmte Deutungen der Wirklichkeit entstanden sind, verbreitet und durchgesetzt wurden, ist ein Blick auf die zeitgenössisch verfügbaren Medien unverzichtbar. Auch Sportereignisse sind in dieser Hinsicht Medienereignisse, sie werden von den Medien dargestellt, inter-pretiert und stilisiert. Wechselwirkungen zwischen Medien- und Sportgeschichte sind aber auch noch auf einer anderen Ebene wirksam: Die Ent-wicklung der Medien verdankt der Sportgeschichte wichtige Anstöße. Bei zentralen Sportereignissen des 20. Jahrhunderts sind wiederholt neue Me-dientechnologien erstmals in großem Maßstab zur Anwendung gekommen; erinnert sei an den UKW-Funk und die Fernsehübertragungen bei den Olympischen Sommerspielen von 1936 in Berlin, oder an die TV-Übertragungen via Satellit, die bei den Spielen von Mexiko-Stadt 1968 den gesamten Erdkreis erreichten. Allen drei oben genannten Themenkreisen sind einzelne Beiträge des geplanten Sammelbandes gewidmet. Hinzu kommen weitere Themen und Ansätze, die im Folgenden anhand einer kurzen Präsentation der einzelnen Aufsätze vorgestellt werden: